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Agenda 2010: Ein Armutszeugnis?VON BERNHARD JIRKU 1Die Verarmung der Bezieher vonLohnersatzleistungen und sozialenTransferleistungen und ihrer Familienhat eine Vorgeschichte, deren Auswirkungensich im Verlauf der Jahre addierthaben: Die Sozialhilfe ist bereitsseit etlichen Jahren der Höhe nach nominelleingefroren, das heißt, sie sinktjährlich real um den Prozentsatz derInflationsrate. Die Arbeitslosenhilfesinkt seit vielen Jahren jährlich nominellum 3 Prozent. Sie sinkt also realpro Jahr um 3 Prozent plus Inflationsrate.Auch familien- und kinderspezifischeLeistungen wie zum Beispiel dassogenannte Erziehungsgeld sind seitlangen Jahren nominell eingefroren undsinken dementsprechend jährlich real inHöhe der Inflationsrate.Durch die Agenda 2010 kommt ab Januar2005 die Abschaffung der Arbeitslosenhilfehinzu, von der Haushalte mitmittleren wie unteren Einkommen inbesonderem Maß betroffen sein werden.Vielfältige Formen derEinkommensminderungAuch die Verarmung von Beschäftigtenhat bereits vor Jahren begonnen undführt zu Effekten, die sich aufsummieren:Betriebsaufspaltungen, Auslagerungenoder Privatisierungen, Scheinselbständigkeitund Preissenkungen fürdie Zulieferanten sowie weitere Formender Parzellierung und Kostensenkungin Produktion und Dienstleistungen findenfortlaufend Anwendung. Die Auslagerungvon Teilen der Betriebsabläufeund der Belegschaft trifft vorwiegendeinfache Tätigkeiten (zum BeispielReinigung und Bewachung) und damitdie unteren Vergütungsgruppen. EineVerlagerung ist oftmals mit Lohnsenkungenverbunden. Im Ergebnis werden1 Bernhard Jirku ist auf der Bundesebene alsReferatsleiter der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft,ver.di zuständig für Arbeitsmarktpolitikund Erwerbslosenarbeit.ohnehin relativ geringe Löhne weiterabgesenkt, teils bis auf das Niveau derabsoluten Armut (Sozialhilfeniveau),teils sogar darunter.Gleichzeitig werden übertarifliche Leistungenund Zuschläge abgebaut, findenunterschiedliche Varianten von Tariffluchtsowie andere Formen der LohnsenkungVerbreitung. Derartige Managementmethodentreffen die unterenund mittleren Vergütungsgruppen besondershart, führen hingegen für Anteilseignerund Unternehmensvorständeoft zu stattlichen Einkommenszuwächsen.Als jüngste Variante kommt – gestütztdurch die Agenda 2010 – das Ansinnenhinzu, die Wochen- und Jahresarbeitszeit(ohne entsprechende Lohnzuwächse)zu verlängern. Betrieb fürBetrieb sollen jenseits eines verbindlichenFlächentarifvertrags die Stundenlöhnegesenkt werden. Im Effektdürften untere Einkommen in die absolute,mittlere Einkommen in die relativeArmut (die Hälfte des Durchschnittslohns)gedrängt und noch mehr Menschenentlassen werden.Auch in einem Beschäftigungssegmentmit relativ positiver Entwicklung, demder Teilzeitarbeit, lauern Armutsfallen:Geringfügige Beschäftigung und Teilzeitfördern tendenziell die Verarmung,da zwar der Stundenlohn gleich hochist, der Monatslohn jedoch entsprechendniedriger liegt. Verstärkt werdenderartige Effekte dadurch, dass geringfügigeBeschäftigung und Teilzeit weitüberwiegend in unteren und mittlerenVergütungsgruppen vorzufinden sind –Einkommensgruppen, die selbst beiVollzeit ohnehin in der Nähe oderunterhalb der relativen Armutsgrenzeliegen. Durch die Ausweitung vongeringfügiger Beschäftigung (sogenannteMinijobs) und Teilzeitarbeit imNiedriglohnbereich wächst die Bevölkerungsgruppeder sogenannten‚working poor’ (etwa ,arbeitendeArme’; die Red.), die an oder unter derabsoluten Armutsgrenze leben.Beschäftigung sinktNach dem Platzen der sogenanntenBörsenblase tritt jetzt das Absinken desBeschäftigungsvolumens (vergleichbarden Erscheinungen um 1929) zunehmendzu Tage: Wertberichtigungen inden Bilanzen und Sparmaßnahmen,weniger Arbeitsvolumen und wenigerBeschäftigung, weniger Aufträge undweniger Konsum, Umsatzeinbrüche undmehr Firmenpleiten. Seit Jahren sinkennicht nur die unteren und mittleren Einkommensondern auch die Beschäftigungsquote.Ihr Pendant, die Arbeitslosigkeit,nimmt zu und damit auch dieallmähliche Verarmung breiterer Bevölkerungskreise.Arbeitsverdichtungund Personalabbau (vorzufinden geradeauch bei den einfachen Tätigkeiten beziehungsweiseden unteren Lohngruppen)oftmals in Verbindung mit derAuftragsvergabe an Dritte oder Auslagerungder Tätigkeiten tun ihr Übriges.Addiert man die hier angesprochenenTrends, ergeben sich vielfältige Formender Einkommensminderung, sei es dasssie sich um Lohnsenkungen oder umEntlassungen oder um den Abbau vonSozialleistungen ranken. Im Endergebnisnimmt die Verarmung der unterenund mittleren EinkommensschichtenSchritt für Schritt zu. Die Agenda 2010führt diesen Prozess fort.Armut ist vorwiegend weiblich und/oder hat oftmals einen Migrationshintergrund;sie ist häufig besondersjung oder besonders alt oder behindert.Verunsicherung und Entfremdunggegenüber Staat, Politik und Wirtschaftgreifen um sich. Empörung und Wutkommen hinzu, wenn offenbar einzignoch die Einkommen der sogenanntenLeistungsträger in Vorständen undAufsichtsräten wachsen (die überdiesvon den Politikern fordern, die Spitzensteuersätzeweiter zu senken).Social Watch Report Deutschland / 14

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