Uneinheitliche soziale Entwicklung in den LändernErgebnisse aus der Auswertung der TabellenVON KARINA BATTHYÁNY, DANIEL MACADAR UND MARIANA CABRERA 1Seit 1995 hat Social Watch eine Zusammenfassungder Lage von Ländernsowohl in Bezug auf die Ziele vorgelegt,die auf dem Weltsozialgipfel inKopenhagen und der Vierten Weltfrauenkonferenzin Peking festgelegtwurden, wie auch in Hinblick auf diefür das Jahr 2015 in der Millenium-Deklaration enthaltenden Ziele.Für diese Ausgabe wurde eine Monitoring-Strategienach Themenbereichenentwickelt, in der jene analytischenDimensionen aufgegriffen und zusammengefasstwerden, die für Entwicklungund menschliche Sicherheitrelevant sind, und zwar entsprechendden auf internationalen Gipfeltreffendefinierten Ansätzen. 2 Die zur Bewertungder verschiedenen Interessenbereicheherangezogenen Indikatorenwurden nicht nur nach ihrer jeweiligenkonzeptionellen Bedeutung, sondernauch auf der Grundlage praktischer Erwägungenausgewählt, die den Leistungsumfangund die internationaleVergleichbarkeit der Indikatoren 3 betrafen.Für unsere Auswertung der in den Tabellenenthaltenen Informationen wurdesowohl eine regionale Analyse wieauch eine Analyse auf der Grundlage1 Karina Batthyány ist Leiterin der wissenschaftlichenAbteilung von Social Watch,Daniel Macadar ist zuständig für Statistik undGrafik und Mariana Cabrera bietet zusätzlichestatistische Unterstützung.2 Der Social Watch Report von 2003 enthielteine Kritik an der Operationalisierung der aufdem Millennium-Gipfel beschlossenen Ziele,die sich auf die übermäßige Konzentration aufLändern in verhältnismäßig schlechterer Lagerichtete, während gleichzeitig Erwartungenund Forderungen nach Verbesserungen anandere Länder mit verhältnismäßig höheremEntwicklungsstand zurückgeschraubt werden.3 Es muss darauf hingewiesen werden, dass wiruns in einigen Bereichen für sich beträchtlichüberschneidende Indikatoren entschiedenhaben, um sicherzustellen, dass der Bereichauch in dem Fall berücksichtigt wird, dass eineinzelner Indikator im zusammenfassendenWert fehlt.der Länderklassifizierung nach Einkommensniveausvorgenommen. 4Die derzeitige Verteilung der weltweitenArmut (Tabelle 1)Die Welt zeichnet sich durch große Armutbei gleichzeitigem Überfluss aus.Von der gesamten Weltbevölkerung von6 Milliarden leben 2,8 Milliarden - alsofast die Hälfte – von weniger als 2 US$pro Tag und 1,2 Mrd. – ein Fünftel –leben von weniger als 1 US$ pro Tag.Fast zwei Drittel (62 %) jener Menschen,die mit weniger als 1 US$ proTag um das Überleben kämpfen, lebenin Südasien und ein weiteres Fünftel(20 %) in Afrika südlich der Sahara.Lateinamerika ist die Heimat von 5 %der Armen dieser Welt, wobei dieMehrzahl in Mexiko und Zentralamerikalebt. 5Ernährungssicherung (Tabelle 4)Man definiert Nahrungssicherheit alsZugang aller Menschen zu jedem Zeitpunktzu der Nahrung, die für ein gesundesund aktives Leben notwendigist. Es geht dabei um verschiedene Bedürfnissewie Verfügbarkeit von undZugang zu Lebensmitteln.Nach jüngsten Schätzungen der FAO 6leben 842 Millionen unterernährterMenschen auf der Welt, davon 95 % inEntwicklungsländern. In allen Entwicklungsländernzusammengenommen istdie Anzahl der unterernährten Menschenseit den frühen 1990er Jahren nurum 19 Mio. zurückgegangen. JedesJahr werden 18 Mio. Kinder mit einemgeringen Geburtsgewicht geboren, davon9,3 Mio. in Zentralasien und 3,1Mio. in Afrika südlich der Sahara. 74 Weltbank. Weltentwicklungsindikatoren 2003.Länderklassifizierung nachEinkommensniveaus. 2003.5 Weltbank. Weltentwicklungsindikatoren 2000.6 FAO, Der Zustand der Nahrungsunsicherheitin der Welt 2003.7 UNICEF. Fortschritte seit dem Weltkindergipfel.Ein statistischer Überblick. UNICEF, 2001.Tabelle 2, „Ernährungssicherung“ zeigt,dass sich die Lage auf globaler Ebeneuneinheitlich entwickelt hat. Über dieHälfte der Länder (75), für die Informationenvorliegen, sind gegenwärtigin einer überdurchschnittlich gutenSituation in diesem Bereich. Darunterverdient die verhältnismäßig guteSituation einer kleinen Gruppe einkommensschwacherLänder besondereErwähnung: Kirgisien, Moldawien,Georgien und die Ukraine. Fast jedesvierte Land (32) ist jedoch in einer vergleichsweiseschlechteren Situation indiesem Bereich; davon sind 29 einkommensschwacheLänder und 3 Ländermit mittlerem Einkommen im unterenBereich.Regional machten die Länder Süd- undOstasiens und des Pazifiks die meistenFortschritte in diesem Bereich: 5 der 8Länder Zentralasiens machten im Laufedes Jahrzehnts Fortschritte, währendnur ein Land (Afghanistan) Rückschritteverzeichnete. Von den 25 Ländern inOstasien und dem Pazifik, aus denenDaten vorliegen, verzeichneten 9 Fortschritteund 3 Rückschritte (die DemokratischeRepublik Korea verzeichneteden auffälligsten Anstieg der Unterernährung).In anderen Regionen verlief die Entwicklungsehr viel differenzierter: inLateinamerika verbesserten im Laufedes Jahrzehnts 11 Länder ihre Lage,aber 9 machten Rückschritte. Im NahenOsten und Nordafrika machten 38 %(8 Länder) Rückschritte und 29 % (6Länder) Fortschritte. Der Irak ist in dieserRegion das Land mit den höchstenRückschrittsraten für diesen Zeitraum.Im subsaharischen Afrika verzeichneten34 % (15 Länder) Rückschritte, während32 % (14 Länder) Fortschrittemachten. Die Länder mit den größtenRückschritten in der Region sindBurundi, die Dem. Rep. Kongo, Eritreaund die Komoren.Über die Hälfte der Bevölkerung istunterernährt in der Dem. Rep. Kongo,Social Watch Report Deutschland / 55
(73 %), Somalia (71 %), Afghanistan(70 %), Burundi (69 %), Tadschikistan(64 %), Eritrea (58 %), Mosambik(55 %), Angola (50 %), Haiti (50 %)und Sambia (50 %).Nahrungssicherheit zum Zeitpunktder Geburt (geringes Geburtsgewicht)in Mauretanien (42 %), Sudan(31 %), Bangladesch (30 %), Haiti(28 %), Jemen (26 %) und Indien(26 %).Mindestens 4 von 10 Kindern unter5 Jahren leiden unter Mangelernährungin Afghanistan (49 %), Nepal(48 %), Bangladesch (48 %), Äthiopien(47 %), Indien (47 %), Jemen (46 %),Kambodscha (45 %), Burundi (45 %),Eritrea (44 %), Malediven (43 %),Angola (41 %), Niger (40 %) und Laos(40 %).Gesundheitliche Sicherheit(Tabellen 3a und 3b, 5, 6 und 7)Wir haben uns für den vorliegendenBericht dazu entschlossen, den Bereichder gesundheitlichen Sicherheit in dreiUnter-Dimensionen zu unterteilen. Dajede Tabelle ein bestimmtes Thema darstelltund sich als solches direkt aufinternationale Verpflichtungen in diesemBereich bezieht, werden sie getrenntvorgestellt und die darin enthaltenenInformationen werden entsprechendder zusammengefassten gegenwärtigenLage für jedes Land auf derGrundlage ihrer Einzelindikatoren klassifiziert.Morbidität und Sterblichkeit(Tabellen 3a, 3b und 6)Die wichtigste Schlussfolgerung desWeltgesundheitsberichts 2002 der Weltgesundheitsorganisation(WHO) bestehtdarin, dass die Kluft zwischen Ländernund Regionen stetig zunimmt. DieDifferenz in der Lebenserwartung zwischendem subsaharischen Afrika undden entwickelten Ländern beläuft sichauf 32 Jahre (46 respektive 78 Jahre).Die Lage verschlechtert sich zunehmendaufgrund der wegen AIDS rückläufigenLebenserwartung in Afrikaund da die Wahrscheinlichkeit, dassKinder das 5. Lebensjahr erreichen,wegen der weitreichenden Folgen vonInfektionskrankheiten immer geringerwird.Während sich in den entwickelten Länderndie Sterblichkeit auf ältere Menschen(70 Jahre und älter) konzentriert(60 %), sind es in vielen Entwicklungsregionendie viel jüngeren Altersgruppen,die aufgrund hoher Kindersterblichkeitund frühzeitigem Ableben derErwachsenen betroffen sind. Man beginntin den Entwicklungsländern geradeerst damit, die gesundheitlichen Problemevon Erwachsenen in der Gesundheitspolitikzu berücksichtigen. Nochimmer werden diese Probleme als fürreiche Länder typisch wahrgenommen,wo die Kindersterblichkeit inzwischenauf sehr geringe Raten zurückgegangenist. 8 Social Watch misst daher jenenIndikatoren, die sich auf Kindersterblichkeit,einschließlich ihrer Ursachenund die häufigsten Erkrankungen beziehen,Priorität zu, da ein Rückgangder Kindersterblichkeitsraten eines derwichtigsten Ziele darstellt, auf die mansich auf den internationalen Gipfeltreffenverständigte.Neun von zehn Ländern in der Gruppein schlechterer Lage befinden sich inAfrika südlich der Sahara. Die Gruppein einer verhältnismäßig besseren Lageumfasst im Prinzip 90 % der LänderEuropas, 85 % der Länder Nordafrikasund des Nahen Ostens und 64 % derLänder Lateinamerikas.Unter den Ländern in schlechterer Lagesind die schwierigsten Fälle Malawi,Mosambik und Sambia, in denen jedesfünfte Kind unter fünf vor Erreichungdes fünften Lebensjahres stirbt und indenen Malaria, Tuberkulose und HIV-AIDS sehr weit verbreitet sind.8 WHO, Weltgesundheitsbericht 2002.Wenn Länder nach Einkommensniveausklassifiziert werden, zeigt sichdeutlich ein Zusammenhang zwischender Lage eines Landes bezüglich dergesundheitlichen Sicherheit und seinemWohlstand.Säuglingssterblichkeitsraten sind nochimmer ein Schlüsselindikator für einbesseres Verständnis der Gesundheitssituationeinzelner Länder und könnenals Indikator für das Entwicklungsniveauherangezogen werden. Auch hierbeizeigen sich riesige regionale Unterschiede.Die meisten Kindstode betreffendie Entwicklungsländer, davon fastdie Hälfte Afrika. Es ist dreimal sowahrscheinlich, dass ein Kind in SierraLeone vor Erreichen des 5. Lebensjahresstirbt wie in Indien und 94mal sowahrscheinlich wie in Schweden.Innerhalb der Länder treten die höchstenKindersterblichkeitsraten unter denärmsten Bevölkerungsgruppen auf. 9 Invielen Ländern, in denen die Kindersterblichkeitzurückgegangen ist, konzentriertsich diese Verbesserung aufdie relativ weniger armen Kinder, sodass sich die Kluft noch weiter verstärkt.Seit 1970 ging weltweit die Sterblichkeitin der Altersgruppe unter 5 Jahrenvon 147 auf 80 pro Tausend zurück.Diese Verbesserungen konzentriertensich auf Südostasien, den östlichenMittelmeerraum und Lateinamerika,während die Fortschritte in Afrikageringer ausfielen. Der größte Rückgangwurde vor 20 bis 30 Jahren verzeichnet;aber auch das galt nicht fürAfrika und die westpazifische Region,wo in den 1980er Jahren weniger Fortschrittezu verzeichnen waren, sowiefür einige osteuropäische Länder, wosich der Trend in den 1970er Jahrenumkehrte. 109 FAO, op cit.10 Ebenda.Social Watch Report Deutschland / 56