Stenographischer Bericht 227. Sitzung - Deutscher Bundestag
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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 14. Wahlperiode – <strong>227.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2002 22575<br />
Diese zwei Seiten einer Medaille kennen wir zum Beispiel<br />
auch von den Pflanzenschutzmitteln. Doch während<br />
letztere sorgfältig geprüft und bewertet werden und es<br />
dann Bestimmungen darüber gibt, wann und wie der Einsatz<br />
von Pflanzenschutzmitteln zulässig ist, können Biozide<br />
bislang ohne jede Prüfung auf den Markt gebracht<br />
werden und in allen erdenklichen Produkten eingesetzt<br />
werden. Das ist eine Gesetzeslücke, die wir heute<br />
schließen wollen.<br />
Weil Biozide in die belebte Natur eingreifen, geht von<br />
ihnen auch eine Gefährdung aus. Es kommt vor, dass Mittel<br />
in denen diese Biozide enthalten sind, weit über ihr eigentliches<br />
Ziel – Insekten, Bakterien oder Nagetiere –<br />
hinausschießen und auch die menschliche Gesundheit beeinträchtigen.<br />
Deshalb brauchen wir für Biozidprodukte<br />
eine klare Zulassung.<br />
Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass Biozidprodukte<br />
künftig nur noch dann in Verkehr gebracht werden dürfen,<br />
wenn ihre Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit<br />
von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen sowie Verbrauchern<br />
und Verbraucherinnen sorgfältig geprüft und<br />
bewertet worden sind. Ergänzend dazu wollen wir Regelungen<br />
für Kennzeichnung und Werbung für Biozidprodukte<br />
einführen. Nicht zuletzt fordern wir die Bundesregierung<br />
durch einen Entschließungsantrag auf, sich für<br />
eine europaweite Kennzeichnungspflicht einzusetzen.<br />
Das versetzt den Verbraucher und die Verbraucherin in die<br />
Lage, eine mündige Entscheidung zu treffen und bei<br />
Überempfindlichkeiten diese Substanzen zu vermeiden.<br />
Verbraucherschutz ist keine Klientelpolitik, denn es<br />
geht hier um den Menschen, seine Gesundheit und seine<br />
Lebensqualitiät. Wir alle sind deshalb in die Pflicht genommen,<br />
so viel Sorgfalt wie notwendig aufzubringen,<br />
um Mensch und Umwelt vor unnötigen Schädigungen zu<br />
bewahren. Diese Mühe müssen wir uns einfach machen.<br />
Wir brauchen deshalb ein Zulassungsverfahren, das der<br />
Vielfalt der Biozidprodukte und ihrer Anwendungen angemessen<br />
ist. Biozide finden eine breite Anwendung in allen<br />
Lebensbereichen.<br />
Die EU-Richtlinie nennt 23 Produktarten, die dann<br />
grob in vier Hauptgruppen eingeteilt werden: Desinfektionsmittel<br />
und allgemeine Biozidprodukte, Schutzmittel,<br />
zum Beispiel Holzschutzmittel, Schädlingsbekämpfungsmittel,<br />
sowie sonstige Biozidprodukte, nämlich Konservierungsmittel<br />
für Lebens- und Futtermittel oder Antifouling-Anstriche.<br />
Diese Aufzählung macht deutlich, dass<br />
wir es bei Bioziden mit einer breiten Palette an Produkten<br />
und Anwendungsgebieten zu tun haben. Oft finden sich<br />
Biozide auch in Mitteln oder Gegenständen, die wir jeden<br />
Tag im Alltag benutzen. Der Verbraucher und die Verbraucherin<br />
ist sich meistens gar nicht bewusst, mit welchen<br />
Stoffen er oder sie da hantiert, weil er oder sie es zurzeit<br />
oft auch nicht wissen kann.<br />
Es ist noch gar nicht lange her, da fand man Tributylzinn<br />
(TBT), in den Trikots einer Bundesliga-Fußballmannschaft,<br />
Borussia Dortmund. Dieser Stoff sollte durch<br />
seine antibakterielle Wirkung die Bildung von Schweißgeruch<br />
verhindern – eine Eitelkeit, die man eventuell<br />
teuer bezahlt: TBT steht im Verdacht, Männer unfruchtbar<br />
zu machen, denn es kann in den Hormonhaushalt eingrei-<br />
fen. Laboruntersuchungen an menschlichen Zellkulturen<br />
weisen darauf hin, dass TBT die Beweglichkeit der Spermien<br />
verringern und Tributylzinn auch den Hormonhaushalt<br />
von Föten beeinflussen könnte.<br />
Aber nicht nur Bundesligakicker sind den Gefährdungen<br />
durch Biozide ausgesetzt. Gerade im Haushalt finden<br />
sich viele Produkte, die aufgrund ihrer Inhaltsstoffe nicht<br />
ohne Risiko sind. Denken Sie an Wollteppiche! Man<br />
nimmt für gewöhnlich Permethrin, um diese vor Mottenfraß<br />
zu schützen. Permethrin ist ein Insektizid aus der<br />
Stoffgruppe der synthetischen Pyrethroide.<br />
Synthetische Pyrethroide sind äußerst giftig für<br />
Mensch und Tier und können eine Vielzahl von Symptomen<br />
auslösen: Gleichgewichtsstörungen, unkoordinierte<br />
Bewegungsabläufe, Kopfschmerzen, Erbrechen, Orientierungs-<br />
und Sensibilitätsstörungen sowie Hörstörungen<br />
und und und. Wer möchte da noch zusehen, wie die Kinder<br />
auf diesen Teppichen herumkrabbeln? Aufgrund der<br />
besonderen Giftigkeit von Pyrethroiden erwarten wir von<br />
der Bundesregierung, dass diese Wirkstoffgruppe weiterhin<br />
beobachtet wird.<br />
Gerade für das unmittelbare Wohnumfeld gibt es noch<br />
viele weitere Beispiele: Denken Sie an das Silikon, mit<br />
dem im Badezimmer die Fliesen verfugt werden; auch das<br />
enthält Biozide. Katzen- oder Hundehalter kommen mit<br />
Bioziden in Berührung, wenn sie Flohmittel benutzen.<br />
Wenn Sie zu Hause in Ihrer Freizeit mit Holz arbeiten<br />
oder viel Holz in Ihrer Wohnung ist, kann es ebenfalls<br />
sein, dass Sie sich einem Risiko aussetzen.<br />
Dafür gab es in der Vergangenheit ja auch traurige Beispiele.<br />
Ich erinnere an den Holzschutzmittelskandal 1993.<br />
1993 verurteilte das Landgericht Frankfurt/Main die<br />
Geschäftsführer einer Holzschutzmittelfirma wegen fahrlässiger<br />
Körperverletzung und fahrlässiger Freisetzung<br />
von Giften. In 25 Fällen sah das Gericht einen Zusammenhang<br />
zwischen der Anwendung von Holzschutzmitteln<br />
und den Gesundheitsschäden der Kläger. Das Holzschutzmittel<br />
der beklagten Firma enthielt die Giftstoffe<br />
PCP, Pentachlorphenol, und Lindan, gamma-Hexachlorcyclohexan.<br />
Das sind hochchlorierte Kohlenwassertoffe.<br />
Diese sind fettlöslich und reichern sich im Körper<br />
an, und zwar besonders in den fetthaltigen Kompartimenten<br />
des Körpers wie Zellmembranen, Gehirn und Nervensystem.<br />
Schwere Schäden des zentralen Nervensystems<br />
können die Folge sein.<br />
Anmerkung: Das Verfahren ging in weitere Instanzen<br />
und wurde später eingestellt. Dafür gab es eine außergerichtliche<br />
Einigung: Die Beklagten zahlen ein Strafgeld<br />
an den Staat und 4 Millionen DM für die Einrichtung einer<br />
Toxikologie-Professur. Das spricht für sich.<br />
Das Beispiel zeigt, dass die Sorge um die Gesundheit<br />
nicht übertrieben ist. Wie sieht es heute aus? Circa<br />
1 500 Holzschutzmittel sind in Deutschland auf dem Markt.<br />
Der Großteil davon ist bislang weder auf ihre Wirksamkeit<br />
noch auf ihre gesundheitliche Unbedenklichkeit und Umweltverträglichkeit<br />
geprüft worden. Im Bereich der Holzschutzmittel<br />
sind jedoch Anfänge durch die Industrie selbst<br />
gemacht worden. Seit einiger Zeit gibt es das RAL-Gütezeichen,<br />
das von der Gütegemeinschaft Holzschutzmittel<br />
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