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Stenographischer Bericht 227. Sitzung - Deutscher Bundestag

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22512<br />

Volker Beck (Köln)<br />

<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 14. Wahlperiode – <strong>227.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2002<br />

Sie die Kronzeugenregelung jetzt in jeden Paragraphen<br />

schreiben wollen, dass Sie im Wesentlichen auf Paragraphen<br />

fokussieren, bei denen man im Rahmen der allgemeinen<br />

Strafzumessung nach § 46 StGB schon heute entsprechend<br />

helfen kann. Natürlich wird auch schon heute<br />

bei Präventions- und Aufklärungsgehilfen von solchen<br />

Regelungen Gebrauch gemacht. Dafür braucht man die<br />

von Ihnen vorgeschlagene Regelung eigentlich nicht.<br />

Mir ist wohler dabei, dass wir noch keine Kronzeugenregelung<br />

haben. Ich glaube, es ist sehr mühevoll, eine<br />

einigermaßen rechtsstaatlich kompatible Regelung zu formulieren.<br />

Deshalb liegt auch von keiner Fraktion dieses<br />

Hauses ein Vorschlag auf dem Tisch. Ich denke, der <strong>Bundestag</strong><br />

wäre gar nicht so schlecht beraten, wenn er einfach<br />

die Finger davon ließe.<br />

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN<br />

und bei der SPD – Jörg van Essen [FDP]: Das<br />

ist klar und eindeutig ein Fehler!)<br />

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort<br />

hat die Kollegin Ulla Jelpke von der PDS-Fraktion.<br />

Ulla Jelpke (PDS): Herr Präsident! Meine Damen und<br />

Herren! Eine wirksame und erfolgreiche Kriminalitätsbekämpfung<br />

kann nur durch eine effiziente soziale<br />

Prävention erreicht werden. Das haben wir hier mehrfach<br />

deutlich gemacht. Mit den Anträgen des Bundesrats und<br />

der Union dagegen werden die Sorgen der Bürgerinnen<br />

und Bürger in einem populistischen Spielchen übergangen.<br />

Ohne Bekämpfung und Korrektur der gesellschaftlichen<br />

und sozialen Ursachen sind alle Versuche, Kriminalität<br />

– wie das jetzt hier geschehen soll – durch immer<br />

mehr Polizei, immer schärfere Gesetze, immer höhere<br />

Strafmaße zurückzudrängen, zum Scheitern verurteilt.<br />

Die vorliegenden Gesetzentwürfe wollen die Ausweitung<br />

der Befugnisse der Polizei, die Einführung von Verfahrensregeln,<br />

welche rechtsstaatlichen Grundprinzipien widersprechen,<br />

und eine Verschärfung der Sicherheitsverwahrung.<br />

Letztere wird ja morgen in diesem Hause<br />

ausführlich diskutiert.<br />

Ich möchte zwei Beispiele aufgreifen, zum Ersten das<br />

Beispiel der Kronzeugenregelung. Die Gesetzentwürfe<br />

formulieren eine Neuauflage der Kronzeugenregelung.<br />

Diese Neuauflage – ganz gleich, ob in einer großen oder<br />

in einer kleinen Variante – lehnen wir insgesamt entschieden<br />

ab. Zum einen ist die Kronzeugenregelung rechtsstaatlich<br />

höchst umstritten, zum anderen sind die Informationen<br />

von Kronzeugen meist nur sehr bedingt<br />

ermittlungsrelevant und oft nicht gerichtsverwertbar. Ein<br />

Handel mit der Strafe, in den der Täter sein Tatwissen gewissermaßen<br />

als Geschäftsgrundlage einbringt, ohne dass<br />

an die Tatumstände und die Schuld angeknüpft wird, ist<br />

unseres Erachtens nicht akzeptabel.<br />

(Beifall bei der PDS)<br />

Es besteht eine erhöhte Gefahr, dass solche erkauften<br />

Aussagen schlicht Falschaussagen sind. Diese gehen dann<br />

zulasten der Beschuldigten. In der Praxis ist die mangelnde<br />

Glaubwürdigkeit des Kronzeugen ein Problem.<br />

Denn Kronzeugen waren und sind – das wissen eigentlich<br />

alle in diesem Haus – oft zweifelhafte Figuren.<br />

Als erfahrene Prozessbeobachterin kann ich dies nur<br />

bestätigen. In dem 129-a-Prozess, der zurzeit in Berlin gegen<br />

die Revolutionären Zellen läuft, kann in den jeweils<br />

am Donnerstag und Freitag stattfindenden Gerichtsverhandlungen<br />

jeder erleben, dass sich ein Kronzeuge ständig<br />

widerspricht. Per Aussageerzwingungshaft werden<br />

die Angeklagten zur Stellungnahme gezwungen. Sie kommen<br />

nur dann frei, wenn sie vor Gericht eine entsprechende<br />

Aussage machen. Das widerspricht eindeutig<br />

rechtsstaatlichen Prinzipien, nämlich dem Recht der Beschuldigten<br />

zu schweigen; schließlich muss das Gericht<br />

ihnen nachweisen, welche Schuld sie zu verantworten haben.<br />

Damit wird das Recht des Beschuldigten auf ein faires<br />

Verfahren und somit ein fundamentales Prinzip des<br />

Rechtsstaates infrage gestellt. Deshalb haben wir in der<br />

Vergangenheit die Kronzeugenregelung abgelehnt und<br />

werden dies auch in Zukunft weiterhin tun.<br />

Einige haben schon zitiert, dass der Deutsche Anwaltverein<br />

nach den Anschlägen vom 11. September erklärte,<br />

die Einführung einer Kronzeugenregelung sei unnütz und<br />

riskant. Die jetzt diskutierten Vorschläge seien nichts anderes<br />

als alter Wein in neuen Schläuchen. Gerade auf dem<br />

Gebiet der Aufklärung terroristischer Straftaten hat sich<br />

die Kronzeugenregelung nicht bewährt. Die Anzahl der<br />

Anwendungsfälle war in der Vergangenheit äußerst gering.<br />

Hier dagegen wird so getan, als habe das bisher<br />

große Erfolge gebracht. Ich kann das nicht nachvollziehen.<br />

(Jörg van Essen [FDP]: Natürlich, insbesondere<br />

bei der PKK!)<br />

– Auch in den PKK-Prozessen war das Auftreten der<br />

Kronzeugen äußerst strittig.<br />

(Jörg van Essen [FDP]: Sie sind rechtsstaatlich<br />

gelaufen und rechtsstaatlich abgeschlossen!)<br />

Ich bin in der Tat der Meinung, dass man sich das genau<br />

anschauen muss. Gehen Sie einmal zu diesem RZ-Prozess!<br />

Ich glaube, das kann für jeden Juristen eine ganz<br />

wichtige Anschauung sein, was da zurzeit vorgetragen<br />

wird.<br />

Der Deutsche Anwaltverein hat im Zusammenhang mit<br />

der Bekämpfung des Terrorismus eindeutig festgestellt:<br />

Den neuen Dimensionen krimineller, terroristischer<br />

Bedrohungen, die seit den Katastrophen des 11. September<br />

die Öffentlichkeit beunruhigen, ist nicht mit<br />

Methoden zu begegnen, die sich bereits in der Vergangenheit<br />

als ineffektiv und riskant erwiesen haben.<br />

Zu ihnen gehört die Kronzeugenregelung.<br />

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Kollegin,<br />

kommen Sie bitte zum Schluss.<br />

Ulla Jelpke (PDS): In diesen Gesetzespaketen sind<br />

noch viele weitere Punkte enthalten. Ich meine, dass die<br />

Kronzeugenregelung ein Punkt ist, den man hier intensiver<br />

diskutieren muss. Ich bin froh darüber, dass die Grü-<br />

(C)<br />

(D)

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