Stenographischer Bericht 227. Sitzung - Deutscher Bundestag
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Joachim Poß<br />
<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 14. Wahlperiode – <strong>227.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2002<br />
dass nationale Regierungen mit ihren Handlungsspielräumen<br />
an Grenzen stoßen. Deshalb suchen wir nach<br />
europäischen Wegen, die wir gemeinsam mit den europäischen<br />
Partnern gehen, um die Chancen der internationalen<br />
Öffnung zu nutzen, ohne dass das europäische Zivilisations-<br />
und Gesellschaftsmodell in Gefahr gerät.<br />
Unser Anspruch an Europa geht über das wirtschaftliche<br />
Ziel eines funktionierenden Binnenmarktes weit hinaus.<br />
Für uns steht Europa auch für sozialen, kulturellen<br />
und ökologischen Ausgleich. Auch das unterscheidet uns<br />
von dem, was Sie, Herr Merz, heute Morgen hier vorgetragen<br />
haben.<br />
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten<br />
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)<br />
Der Rat in Barcelona hat die Notwendigkeit einer<br />
wachstumsfördernden und stabilitätsorientierten Wirtschafts-<br />
und Finanzpolitik festgehalten. Die Mitgliedstaaten<br />
der Europäischen Union vereint der Wunsch, die<br />
Arbeitslosigkeit nachhaltig zu bekämpfen. Gestrigen<br />
Meldungen konnte man entnehmen, dass sich die Wachstumsaussichten<br />
für dieses Jahr in ganz Europa – also<br />
auch in der Bundesrepublik Deutschland – Gott sei Dank<br />
günstiger entwickeln, als dies noch vor drei oder vier Wochen<br />
angenommen werden konnte. Darüber hätten Sie<br />
ebenfalls ein Wort verlieren und diese Entwicklung begrüßen<br />
können. Warum malen Sie hier alles schwarz? Wollen<br />
Sie denn aus rein parteitaktischen Gründen eine schlechte<br />
Entwicklung und zusätzliche Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt?<br />
Das darf doch wohl nicht wahr sein!<br />
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten<br />
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)<br />
Wir können nicht akzeptieren, dass Sie Tatsachen aus<br />
parteitaktischen Gründen nicht erwähnen, und werden<br />
deshalb offensiv darstellen, dass die Auftriebskräfte die<br />
Oberhand gewinnen. Wo es sich noch nicht herumgesprochen<br />
hat, werden wir offensiv darstellen, was wir aus eigener<br />
Kraft dazu beigetragen haben, um die wirtschaftliche<br />
Situation zu stabilisieren. Der Sachverständigenrat<br />
hat festgestellt – auch das muss angesprochen werden –,<br />
dass ohne unsere Steuerentlastung von 45 Milliarden DM<br />
im letzten Jahr und ohne die Begrenzung der Sozialversicherungsbeiträge<br />
der wirtschaftliche Abschwung noch<br />
stärker gewesen wäre.<br />
Wenn Sie die hohe Arbeitslosigkeit beklagen – wir reden<br />
sie doch nicht schön –, dann dürfen Sie nicht verschweigen,<br />
dass wir im Januar 1998 leider 500 000 Arbeitslose<br />
mehr hatten.<br />
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des<br />
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)<br />
Auch darf man die Augen nicht davor verschließen, dass<br />
wir in die Phase des nächsten konjunkturellen Aufschwungs<br />
hineingehen.<br />
(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und<br />
der FDP)<br />
Damit besteht die Chance, dass die Arbeitslosenzahl<br />
im nächsten Konjunkturzyklus deutlich sinken kann.<br />
Während der 16 Jahre Ihrer Regierung unter Kohl ist<br />
doch die strukturelle Arbeitslosigkeit stets gestiegen,<br />
unabhängig von der Konjunktur. Darin liegt der Unterschied:<br />
Wir finden uns mit steigender Arbeitslosigkeit<br />
nicht ab. Sie, meine Damen und Herren, hatten sich<br />
schon längst damit abgefunden.<br />
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten<br />
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)<br />
Im Übrigen wäre es auch eine zu schlichte Betrachtung<br />
der Ökonomie, die ökonomisch-soziale Position eines<br />
Landes vor allem durch die reale Wachstumsrate des Bruttoinlandsproduktes<br />
bewerten zu wollen. Wir Sozialdemokraten<br />
sind stolz darauf, dass unser hohes Maß an sozialem<br />
Frieden unsere Wettbewerbsfähigkeit in Europa<br />
nachhaltig stärkt.<br />
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)<br />
Das haben wir auch mit unserer Steuerpolitik gefördert.<br />
(Ina Lenke [FDP]: Was?)<br />
Durch diese Politik wurden nicht irgendwelche Großkonzerne<br />
begünstigt.<br />
(Widerspruch bei der FDP)<br />
In erster Linie wurden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,<br />
Familien mit Kindern sowie der Mittelstand entlastet.<br />
Bei Ihnen hat man nur über eine Entlastung gesprochen.<br />
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten<br />
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ernst<br />
Hinsken [CDU/CSU]: Wo leben Sie denn?)<br />
– Herr Hinsken, diese Steuerpolitik kann sich im internationalen<br />
Vergleich – auch wenn Sie einen Vergleich mit<br />
den USA und mit Frankreich ziehen – sehen lassen.<br />
(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Nordkorea!)<br />
Aber das ändert nichts daran – ich hoffe, wir sind uns<br />
in dieser Überzeugung einig –, dass Europa ökonomisch<br />
wachsen muss, um sich in der Weltwirtschaft behaupten<br />
zu können. Wenn die Europäische Union bei steigender<br />
Mitgliederzahl handlungsfähig bleiben soll, muss sie sowohl<br />
die Kommission stärken als auch das Prinzip der<br />
Subsidiarität ausweiten – jedenfalls da, wo ein europäischer<br />
Regelungsbedarf nicht besteht.<br />
Ich möchte deshalb an dieser Stelle betonen: Eine verstärkte<br />
Koordinierung ist sinnvoll und notwendig, um<br />
nationale Maßnahmen nicht auf europäischer Ebene zu<br />
konterkarieren. Wir sollten jetzt weitere Fortschritte erzielen.<br />
Die weitere Integration der Finanzmärkte bleibt<br />
auf der europäischen Tagesordnung. Wir brauchen eine<br />
zunehmende Koordinierung in der Steuerpolitik, eine<br />
Harmonisierung der Energiebesteuerung sowie Deregulierung<br />
durch den Abbau von bürokratischen Hemmnissen.<br />
Dabei brauchen wir natürlich eine Verschlankung der<br />
verschiedenen Prozesse und Strategien zur wirtschaftspolitischen<br />
Koordinierung. Wir unterstützen die Schaffung<br />
eines europäischen Bildungs- und Forschungsraumes<br />
auch durch die Erhöhung von Mobilität. Wir wissen, dass<br />
Investitionen in die Bürger Europas unser stärkstes Kapital<br />
darstellen. Insoweit nehmen wir auch die Kritik der<br />
EU-Kommission an unserer Arbeitsmarktpolitik auf.<br />
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