open poems open writing 09/10 - Crespo Foundation

entschieden, Richtung Erde zu weisen. Ihr misstrauischer
Blick aus braunen, faltigen Augen geht ins Leere. Ihr Kopf
ist auffallend in den Nacken gelegt, sie drückt sich mit
ihrem gesamten Gewicht in den roten Ledersitz und bemerkt
dabei offenbar nicht, dass sie auf meiner Tasche sitzt.
Die Restpassagiere bestehen aus einer ungeschminkten Frau
mit Brille, die ganz und gar in einen Science-Fiction-Roman
vertieft ist, einem Anzugträger, der seine Selbstbestätigung
wie ein Gebet über die Tastatur seines Mobiltelefons
wichst und ein paar hysterisch schnatternden und
kreischenden Mädchen auf dem Weg zur Schule. Ihr synthetisches
Parfum dringt, ohne dass ich es will, aggressiv in
meine Nase.
Lange seid ihr nicht mehr meine Brüder und Schwestern.
Wir erkennen uns nicht. Wir sind uns gleichgültig, im besten
Fall sind wir uns im Weg, wir begegnen uns im Egomodus. Dann
gibt es kleine, erregende Kämpfe, in denen man die Lebendigkeit
in euren toten Augen aufflammen sieht. Sonst seid ihr
kalt und steif. Noch am nächsten Tag steht ihr da und wartet
auf die nächste U-Bahn.
Ich sehe mein Innerstes, ich schaue in das tiefste Loch in
mir. Darin sehe ich keinen. Außer mich selbst.
C.
Stolz verkündete er am Telefon, seine Brieffreundin sei
jetzt da, er habe keine Zeit sich zu treffen. Wir würden
unsere Briefe lesen und hätten uns viel zu sagen.
Er könne ohne Tabletten weder einschlafen noch aufwachen.
Seine Hosen passten seither nicht mehr, berichtete er in
einem vorhergegangenen Brief.
Es waren die letzten Tage im Dezember, abends am Bahnhof
nach 6 Stunden Fahrt. Ein richtiger Mensch, eigentlich ein
verschüchterter Riesenjunge, mit abstehenden Ohren und
tätowiertem Gesicht, ragte 1,90m vor mir in die Höhe. Sein
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