open poems open writing 09/10 - Crespo Foundation

Bei einem spanischen Abendessen, zu dem er mich leider
nicht einladen konnte, da es diesen Monat knapp sei finanziell,
erzählte er mir Anekdoten aus seinem früheren Leben.
Der Pfarrer habe es damals beim Konfirmandenunterricht auf
ihn abgesehen. Als er einmal zu spät zur Kirche kam, da er
mit dem Fahrrad gestürzt war und sich das Knie verletzt
hatte, holte der Pfarrer aus und trat an ebenjener Stelle
derart zu, dass es den Jungen umwarf. Aufgelöst humpelte er
nach Hause und berichtete seinen Eltern von dem Vorfall. Die
Konfirmandengruppe aber schwieg.
Seine Eltern würden ihn noch heute manchmal mit dem Namen
seines älteren Bruders ansprechen, der Möbel aus Kirschbaumholz
im Wohnzimmer stehen habe.
In der Schule wurde er Bananengesicht genannt. Er versuchte
die Gunst der Mädchen auf sich zu lenken, indem er
sie so fest kniff, dass sie blaue Flecken davontrugen und sie
anspie, im Glauben, sie würden davon schwanger.
An Silvester stiegen wir auf den höchsten Berg der
Alptraumstadt. Wir waren zu hoch geklettert, hatten das
Feuerwerk unter uns. Schweigend saßen wir in der Schwefelwolke.
Hand in Hand, laut lachend rutschten und stolperten
wir die verschneiten Hänge hinab, als es vorüber war.
Mit jeder Stunde, in der mein Abschied näher rückte, zog
er sich wieder mehr in sich zurück. Er wirkte reservierter,
ernster. Glücksmomente schwanden, und ich fühlte mich machtlos,
und doch wusste ich, dass es nur so und nicht anders sein
konnte.
Ich küsste ihn auf seine vernarbte Wange und stieg,
bewusst ohne mich umzudrehen, in den Wagen meiner Mitfahrgelegenheit.
Zuvor hatte er noch pflichtbewusst beim Einladen
des Gepäcks geholfen. Aus dem Radio erklang wenig später ein
bekanntes Lied, das mich nie zuvor berührt hat: „Du bist
schön. Du bist schön, das ist wahr.“
Im Sommer, zwei Jahre nach unserer Begegnung, verabschiedete
ich mich von ihm in einem kurzen Brief.
Er hat den Umriss seiner Hand auf das Papier seiner Antwort
gezeichnet. Schrieb …
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