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open poems open writing 09/10 - Crespo Foundation

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echtes Auge floh leicht nach außen. Er trug Rollkragen,<br />

Mütze und schwarze Jeans.<br />

An seiner Wand hing mein Bild. Vergrößert und gerahmt. Er<br />

war gerührt, als ich mit Selbstverständlichkeit meine<br />

schneenassen Schuhe auszog, bevor ich seinen Wohnbereich<br />

betrat. Andere zollten ihm nicht diese Art von Respekt,<br />

sagte er in einem Anflug von Bitterkeit.<br />

Der Eingangsbereich der Wohnung war eine Elektro- und<br />

Physik-Werkstatt erster Klasse. Mehrere hundert kleine Plastikschubladen,<br />

liebevoll etikettiert und in Schönschrift<br />

beschrieben: Muttern, Dübel, Lötkolben … Dutzende Werkzeuge,<br />

sauber aufgeräumt, alle hatten ihren Platz. Eine kleine,<br />

stumme Familie.<br />

Am ersten Abend gab es Nudeln mit scharfer Soße. Beschämt<br />

erklärte er, dass sie wohl deutlich zu scharf geworden sei.<br />

Ich konnte ihn insoweit beruhigen, dass er sich nach einigem<br />

Hadern zu mir setzte, und ebenso anfing zu essen.<br />

Ein Terrarium mit „Mausen“, wie er sie im Schwäbischen<br />

nannte, stand auf einem Regal in Augenhöhe. Sie hatten gerade<br />

Babys bekommen, die sehr klein, rosa und zerbrechlich waren.<br />

Nur wenn man Glück hatte, bekam man sie zu Gesicht. Sie bewegten<br />

sich kriechend fort und rissen ihre kleinen Mäulchen<br />

auf, wenn das Muttertier in ihrer Nähe das Nest ausstopfte.<br />

Einige Zeit nach meinem Besuch gestand er mir, dass er einige<br />

von ihnen als Schlangenfutter weggegeben habe.<br />

Er war im Besitz einer alten Kaffeemühle. Mit Engelsgeduld<br />

und meisterhafter Präzision, erklärte er mir, wie sie<br />

funktioniert. Noch nie zuvor war ich in der Lage, einen<br />

technischen Vorgang nach nur einer Erklärung fehlerfrei auszuführen.<br />

Meine Art, mich für die Gastfreundschaft und seine<br />

bloße Existenz zu bedanken, bestand für die drei Tage meiner<br />

Anwesenheit darin, ihm Kaffee zu kochen. Ich war so glücklich,<br />

dass ich es damals nicht merken konnte.<br />

Bad und Schlafzimmer waren gleichermaßen tapeziert mit<br />

schwarzen Müllsäcken, Fenster gab es keine. Genau einmal<br />

schlief ich in seinem Arm. Unschuldig. In der letzten Nacht<br />

vor meiner Abreise. Er hatte zuvor mehrfach erwähnt, dass<br />

er zu alt für mich sei.<br />

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