open poems open writing 09/10 - Crespo Foundation
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„Rondler“, sagt er. „Kriminalpsychologe.“ Sie nickt nur. Er<br />
hat damit gerechnet, dass sie bleich ist, aber das wenige,<br />
was er außerhalb der Sonnenbrille an Gesicht erkennen kann,<br />
ist von einer dicken Schicht Make-up überdeckt. Die riesige<br />
Tasse Kaffee vor ihr ist zu einem Drittel gefüllt. Er<br />
holt sich auch einen, obwohl der letzte erst zwanzig Minuten<br />
her ist. Sein Magen zieht sich beim ersten Schluck heftig zusammen.<br />
Er setzt die Tasse hart auf, nimmt sie wieder, trinkt<br />
noch einmal, erst als sie fast leer ist, fühlt er sich ausreichend<br />
gewappnet.<br />
Der Beginn des Gesprächs ist System, verläuft planmäßig.<br />
Sie antwortet laut und schnell; überzeugt. Sie kramt in<br />
ihren Sachen, zieht ein Handy hervor und legt es wieder weg,<br />
schaut auf die Uhr, so oft, dass er beim innerlichen Mitzählen<br />
nicht nachkommt. Der Leiter der Kommission sitzt im<br />
anderen Zimmer und hört mit zu. Ihre Antworten sind Satzanfänge,<br />
die mit hektischen Brüchen in neue Halbsätze übergehen,<br />
kurz vor Ende ein Ausrufezeichen werden. Permanente Verteidigung.<br />
Sie zögert nicht ein einziges Mal.<br />
„Haben Sie noch einen Termin?“, fragt er. Die Frage ist<br />
lächerlich, das Zählen der Uhrkontrollen ist noch lächerlicher.<br />
„Ja, sicher“, sagt sie, „die Beerdigung, was glauben Sie<br />
denn, ist Ihnen eigentlich bewusst, dass das auch etwas ist,<br />
über das die Medien berichten werden?“<br />
„Was denken Sie, wie kommt es dazu, dass Ihr Sohn so etwas<br />
macht?“<br />
Er erhält keine Antwort, sie starrt ihm wortlos ins Gesicht.<br />
Er verflucht sich, aber jetzt gibt es kein Zurück mehr.<br />
„Hat er sich verändert? Gab es in letzter Zeit Konflikte?“<br />
Noch einmal ein Schluck Kaffee.<br />
„Bei uns gibt es keine Konflikte“, sagt sie knapp, „und wo<br />
er die Gewaltbereitschaft herhat, will ich gar nicht wissen.“<br />
„Schulisch?“, versucht er.<br />
„Seine Noten sind schlechter geworden“, sagt sie, „das<br />
hat mir nicht gefallen. Er hatte keinen Antrieb mehr, null<br />
Ehrgeiz, aber deshalb geht man nicht mit einem Messer auf<br />
andere Leute los. Suchen Sie woanders nach Gründen.“<br />
Als er zu sprechen ansetzt, vergräbt sie plötzlich den Kopf<br />
in den Händen. „Man ist bei ihm nicht durchgekommen, das<br />
haben alle gesagt. Wenn Sie das Konflikte nennen wollen.“<br />
Sie kaut heftig auf ihren Lippen. „Dieser ganze Scheiß, er<br />
in seinem Zimmer, den ganzen Tag, zugeschlossene Türen.“ Sie<br />
setzt sich auf, räuspert sich. Ein Blick aufs Handy. „Glauben<br />
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