open poems open writing 09/10 - Crespo Foundation
open poems open writing 09/10 - Crespo Foundation
open poems open writing 09/10 - Crespo Foundation
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Am nächsten Morgen habe ich Rückenschmerzen, weil ich<br />
nicht in meinem Bett, sondern auf Tobis Couch geschlafen<br />
habe. „Selbst Schuld“, sagt Tobi. Er versteht nicht, warum ich<br />
nicht in meinem Zimmer habe schlafen wollen.<br />
„Weil es gruselig ist, darum“, sage ich.<br />
„Ist doch alles genau wie früher, die haben doch nichts<br />
verändert“, sagt Tobi.<br />
Und da liegt das Problem. Das Haus wird zum Museum. Und<br />
Museen zeichnen sich dadurch aus, dass sie Vergangenheit und<br />
Erinnerung konservieren, nicht dadurch, dass dort jemand<br />
lebt. Wäre der Tod ein Gebäude, dann sicher ein Museum.<br />
Beim Frühstück stellen wir fest, dass keine Butter im Haus<br />
ist. „Jetzt auch noch die Butter!“, stöhne ich, aber die<br />
Mutter stellt klar, nein, die Butter sei nicht verschwunden,<br />
sie hätte bloß vergessen, welche zu besorgen, und den Vater<br />
mit seinem schlechten Bein habe sie heute Morgen nicht in<br />
die Stadt schicken wollen.<br />
„Wieso denn in die Stadt, er kann doch zum Supermarkt<br />
gehen“, sage ich.<br />
„Der ist weg“, behauptet die Mutter.<br />
Tobi und ich spähen aus dem Fenster Richtung Supermarkt.<br />
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt hätte uns auch ein verschwundener<br />
Supermarkt nicht weiter überrascht.<br />
„Da ist er doch“, sagt Tobi zaghaft. Seine fachmännische<br />
Tatkraft ist verschwunden.<br />
Wir erfahren: Der Vater setzt keinen Fuß mehr in den Supermarkt,<br />
seit der Besitzer gewechselt hat. Alles ist fremd,<br />
der Supermarkt hat einen neuen Namen, das Sortiment ist ein<br />
anderes und viel kleiner, und das Personal hat komplett<br />
gewechselt. Der Vater findet sich dort nicht mehr zurecht.<br />
Abends lädt Tobi uns zum Italiener ein. Während wir zum<br />
Restaurant fahren, parken, bestellen, essen, bezahlen, wundere<br />
ich mich über die Eltern. Ihr Fahrstil erschreckt mich,<br />
und dass sie die Verkehrsregeln vergessen zu haben scheinen,<br />
dass die kurzsichtige Mutter unbebrillt fährt, weil die<br />
Brille verschwunden ist, dass sie die Karte im Restaurant<br />
nicht verstehen und den Kellner verdächtigen, sie über den<br />
Tisch zu ziehen. Weil, das flüstern sie sich beunruhigt zu,<br />
es sich um einen neuen, ihnen gänzlich unbekannten Kellner<br />
handelt. „Der Alfredo sieht aber anders aus“, bemerkt der<br />
Vater.<br />
68