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open poems open writing 09/10 - Crespo Foundation

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mal im Treppenhaus gesehen. Man begegnete sich kurz im Aufoder<br />

Abgehen, grüßte sich flüchtig, eher pflichtbewusst,<br />

denn man wohnte ja im selben Haus und da gehörte es sich so,<br />

und sie würde nicht behaupten, dass hier eine Bekanntschaft<br />

vorlag. Hätte sie jemand gefragt, hätte sie ihn wohl nicht<br />

beschreiben können. Auch jetzt erschien er ihr neblig, die<br />

Schatten zerstoben fein seine Konturen. Jedenfalls hatte sie<br />

ihn außerhalb des Treppenhauses nur ein einziges Mal auf dem<br />

Platz gesehen oder sie dachte zumindest, dass er es gewesen<br />

sein könnte. Der Moment war sehr flüchtig gewesen, eine große<br />

dunkle Gestalt hatte sie aus ihrer Konzentration gerissen,<br />

weil sie schnurstracks und forschen Schrittes durchs Bild<br />

gelaufen war.) Sie war etwas befremdet von seinem vertraulichen<br />

Ton und fühlte sich sehr klein im Vergleich zu ihm.<br />

„Ich gehe mit großer Aufmerksamkeit an ein mögliches<br />

Zusammentreffen heran. Nehmen wir beispielsweise den Besuch<br />

im Supermarkt. Ab und an gehe ich dorthin, jeder Mensch muss<br />

essen und trinken. Wenn ich dann am Band stehe, meine Waren<br />

vor mir, langsam voranrückend, blicke ich die Kassiererin<br />

an. Ich betrachtete die Bewegungen ihrer Hände, wie sie die<br />

Konservendosen hält, die sie über das Band führt, ob ihre<br />

Finger zittern, die Neigung ihres Kopfes. Ich betrachte sie<br />

und male mir aus, wie sie so ist. Ist sie scheu?, frage ich<br />

mich. Ist sie schwach? Und wenn ich dann vor ihr stehe, mein<br />

Blick haftet unentwegt an ihr, dann habe ich jede Nuance<br />

ihres Wesens ausgelotet. Dann kenne ich sie. Ich neige dann<br />

meinerseits den Kopf. Dann lächelt sie ein kleines Lächeln,<br />

und ich lächle zurück. Dann bezahle ich und gehe. Denn ich<br />

weiß alles, was wert zu wissen ist.“ Die Tür ihrer Wohnung<br />

stand weit offen, und sie stellte in plötzlicher wilder<br />

Angst ihren Fuß auf die Schwelle, doch schien ihr, als wäre<br />

diese hoch wie der geliebte Dom, und ihr Knie sackte sachte<br />

ein. Er stand hoch und schwarz in ihrem Rücken. Seine<br />

Züge waren erstarrt und glänzten kalt. Als er nun zu sprechen<br />

fortfuhr, schien es, als würden seine Gesichtsmuskeln<br />

kurz spröde. „Was bleibt mir, dem Gottverleugner, als die<br />

Stirn auf den kalten Stein zu pressen und den Mammon an seiner<br />

Statt in den Himmel zu heben? Ich lege meine Hände auf<br />

den Boden und strecke meine Arme ganz aus, und ich schreie<br />

meines Gottes Namen immer und immer wieder. Wachse drohend,<br />

brenne, stecke alle an. Ich liege wie die Pest in der Luft,<br />

dringe in alle Ritzen, jeden Spalt hinaufkriechend, bis ihr<br />

alle von mir getränkt seid und jeder Tänzer, starr vor<br />

Staub, die Füße still hält. Und du, die du mir die Stirn<br />

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