03.12.2012 Aufrufe

open poems open writing 09/10 - Crespo Foundation

open poems open writing 09/10 - Crespo Foundation

open poems open writing 09/10 - Crespo Foundation

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Der Platz an sich wirkte nicht besonders. Er war mittelgroß<br />

und mit grauem Kopfstein gepflastert. Ein Platz, wie<br />

er oft anzutreffen ist in diesen Breitengraden, im Zentrum<br />

einer der vielen schmucken Städtchen, die sich entlang der<br />

Küste ziehen. Genauer betrachtet unterschied er sich jedoch,<br />

abgesehen natürlich von den umgebenden Gebäuden, entscheidend<br />

von seinen Verwandten. Alle Seiten fielen gleichmäßig<br />

zur Mitte hin ab, wodurch sein Mittelpunkt auch der tiefste<br />

Punkt war. Das Pflaster wand sich spiralförmig zu diesem Punkt<br />

hin. Nun geriet jeder Neuling und auch so mancher Stadtbewohner,<br />

trotz des gewohnten Charakters des sich bietenden<br />

Anblicks, in diesen Strudel und blieb, gefangen von der brachliegenden<br />

Größe, an dessen Endpunkt stehen. Der Grund des<br />

Verweilens, der städtische Dom, manifestierte sich am östlichen<br />

Rand des Platzes. Verbindet man schon allein mit dem<br />

Wort „Dom“ oder seinem Pendant „Kathedrale“ eine gewisse<br />

Größe und empfindet bei dessen Klang einen fahlen Abdruck<br />

von Ehrfurcht, so wurden selbst diese Worte, die mit so viel<br />

Glanz, Größe, Glorie und Gottesfurcht verbunden werden, diesem<br />

Monument nicht gerecht.<br />

Den Dom angemessen zu beschreiben, gestaltet sich äußert<br />

schwierig und erscheint unmöglich, ist doch die menschliche<br />

Sprache ein viel zu einfaches und grobes Werkzeug. Man (ich,<br />

ich kann in diesem Fall ausschließlich für mich sprechen)<br />

kann nur sagen, dass der Betrachter bis in sein innerstes<br />

Selbst berührt wurde. Die gegossenen Mauern streckten sich<br />

Richtung Himmel, und es schien, als würden sie ihn leicht<br />

streifen, so wie eine Mutter, die das Gesicht ihres Neugeborenen<br />

das erste Mal berührt. Die Türme zwirbelten sich in<br />

die Höhe, kühn die eigene Zerbrechlichkeit missachtend. Die<br />

Kuppel, das Haupt des Domes, stand rund und golden und saugte<br />

das Licht der Sonne in sich hinein, um es auf die weißen<br />

Wände zu werfen. Sie schimmerten sachte. Man wandte das nasse<br />

Gesicht ab und erkannte, dass Gott den Menschen wohl doch<br />

nach seinem Abbild geschaffen hatte, damit dieser ihm ein<br />

solches Haus bauen konnte. Wenn die Sonne morgens aufging,<br />

stand sie für einen Moment direkt hinter der Kuppel des<br />

Doms. Das Licht des steigenden Sterns umstrahlte dann den<br />

von menschlichen Händen geschaffenen Halbmond und umgab ihn<br />

mit einem hellen Schein, welcher den Dom, für diesen kurzen<br />

Moment zumindest, unsrer irdischen Welt entrückte und ein<br />

Stück gen Himmel trug. War der Dom sonst auch ein erhabener<br />

Anblick, so war er in diesen Momenten wahrhaft göttlich.<br />

57

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!