open poems open writing 09/10 - Crespo Foundation
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machen kein Geräusch mehr. Ich konzentriere mich auf den<br />
Vater und jede einzelne Stufe, aber aus den Augenwinkeln<br />
sehe ich die Risse. Das Haus scheint von beiden Seiten zusammengeschoben,<br />
zusammengedrückt zu werden. Auf der untersten<br />
Stufe stolpert der Vater, und ich werfe mich vor ihn.<br />
Ich bin sicher, dass auch er verschwinden würde, wie die<br />
Bücher, wie die Alben. Tobi reißt die Haustür auf, greift die<br />
Mutter am Arm und zieht sie nach draußen. „Ich brauch den<br />
Mantel. Die Nachbarn!“, ruft sie, aber Tobi zieht weiter.<br />
Mit winzigen Schritten nähert sich der Vater der Haustür.<br />
Auf den letzten Metern schiebe ich ihn. Hinter uns knackst<br />
und kracht es. Das sind die Balken, das ist die Treppe, jede<br />
einzelne Stufe kann man hören, wie bei einer Tonleiter. Die<br />
Musik ihres Verschwindens frisst sich durch das Holz.<br />
Die Mutter wartet vor dem Nachbarhaus, Tobi und ich<br />
schleifen und ziehen, schieben und tragen den Vater das<br />
Treppchen vor der Haustür hinunter. Als wir ihn loslassen,<br />
höre ich ein Geräusch, so laut, dass ich es im ersten Moment<br />
nicht als Geräusch erkenne. Wie eine Explosion, ein Knall,<br />
ein akustischer Unfall sprengt es alles, was meinem Gehörgang<br />
vertraut ist. Ich presse die Hände auf die Ohren, gehe<br />
in die Knie und schließe die Augen, weil ich die Mutter nicht<br />
länger sehen will. Nach dem Geräusch, das kein Geräusch ist,<br />
pfeift es im Kopf. Es piept und fiept, als habe man während<br />
eines Konzerts zu lange neben den Lautsprechern gestanden. Ich<br />
lasse die Hände sinken. Ich drehe mich nicht um, schaue bloß<br />
die Mutter an, die Mutter und Tobi und wie sie starren,<br />
obwohl es doch nichts, rein gar nichts mehr zu sehen gibt.<br />
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