LISA SCHETTER Richtung 90
In der Tapete hängen die Reste zerbrochener Gläser; das ausgeblichene Sofa darunter ist voll von Flecken, Flusen und Kritzeleien. Vor langer Zeit ist es einmal dunkelbeige gewesen. Beim Betrachten erschrickt Rondler jedes Mal neu, obwohl er weiß, dass die Flecken zu dunkel sind. In der Küche hört er die Stimme, die ihn schon den ganzen Morgen verfolgt, er versucht, sie durch noch entschlosseneres Starren auszuschalten. Nur Frauenstimmen können so klingen, denkt er. Überdreht. Schrill und ohne Atem zu holen. Und so durchdringend und bestimmt, dass der andere nach jedem zweiten Satz abbrechen muss. Du heute nicht. Die Leere, die nicht einmal den Versuch der konkreten Frage zulässt, setzt sich wieder in ihm fest. Er schweift ab. Das Schweigen in seiner Familie, er fragt sich, welche Art des Redens die schlimmste ist. Erinnert sich an den Zwang, eine vergiftete Luft so lange einzuatmen, bis man davon infiziert ist, sein Leben lang. Jede Flucht eine Provokation, Provozieren war nie seine Art gewesen. Er hat sich leise davongestohlen, als es an der Zeit war zu gehen. Und beim Aufatmen gespürt, wie ungleich die neue Luft war, wie er fast taumelte, so viel Fremdheit enthielt sie. Er ist sich sicher: Hier ist es anders. Gregor war nicht allein gewesen. Es passt nicht. Er muss zurückrudern, kommt an, konzentriert sich. Was weiß er? Immerhin die erste konkrete Frage. Seine Routine setzt sich durch. Die Antwort: Das Zimmer gibt ihm nicht viel. Eine Mitschülerin hat ihm am Morgen gesagt: Aggression, das wüsste sie nicht. Denken könnte sie es sich schon. Aber sein Gesicht hätte am Ende ohnehin kaum jemand mehr gesehen. Oft steinern, wenn er denn aufsehen musste. Er habe dauernd mit seinen Schultern gekämpft, seinem Kopf. Plötzlich hatte sie sich weggedreht. Er weiß im Nachhinein, dass sie nicht gekämpft hatte sagen wollen. „Jedenfalls sah er dir nicht ins Gesicht“, sagte sie. „Durch mich sah er immer hindurch, von Anfang an. Ich hab ihn ein paar Mal grüßen wollen.“ Sie zögerte. Dann: „Ich glaube eigentlich, dass er oft eine Faust geballt hatte. Sagen kann ich es nicht. Seine Hände waren immer in den Ärmeln. Er hat ziemlich kurze Arme, und er hielt sie sehr steif, die Jacken reichten ihm bis über die Fingerspitzen. Sie waren ihm immer zu groß, er vergrub sich darin, schlug den Kragen hoch. Sogar im Sommer. Seine 91
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OPEN POEMS OPEN WRITING 09/10 TEXTE
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Rebecca Ciesielski Max Czollek Alex
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Am Anfang sind ein Tisch, einige Se
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REBECCA CIESIELSKI Illegales Klangm
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Wirklichkeitsbalkone mit Abziehbild
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MAX CZOLLEK dem jahr zweitausendund
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das kalte bier hier die kehle runte
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ALEXANDER MAKOWKA Vokalise Dasitzen
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Stummszene Wenn geflügelte worte u
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das tut nicht weh. das tut mir nich
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die so- nach ti gall wä re so nich
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Lebensgeflüster Alles vollgepisste
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Zurück Tief in deinen Augen dort l
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