open poems open writing 09/10 - Crespo Foundation
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Die Hand an die Stirn eines Fiebernden<br />
Da könnte man ihr Kinderauge ein einzig Mal nicht übergehen,<br />
zum ersten Mal könnt’ ihrem Traum geglaubt.<br />
Elen liegt meistens wach im Fieber, sie wälzt sich durch<br />
die Nacht, indem sie selbige sich um den Körper wickelt mit<br />
dieser Dreherei. So schwer ist diese Bettdecke doch nicht,<br />
oder ist es die Dunkelheit, die ihre Masse in meinen schwachen<br />
Körper schiebt? Und nassen Körper, der scheinbar nichts<br />
als schwitzen kann und glühen. Das denkt sie sich und wird<br />
so plötzlich nur noch ein Stück Fleisch, das einen Blutkreis<br />
trägt. Elen spürt auch den Schädel richtig, wie er mit seiner<br />
hohlen Existenz den Kopf rund hält.<br />
Ein Jemand hat den Hausarzt hergerufen, sie hat es nicht<br />
bemerkt, doch nun steht er auf einmal vor ihr. Ganz ohne<br />
weißen Kittel, das Stethoskop nicht um den Hals, nur lose in<br />
der Hand, erscheint die Frage nach Elens Befinden schon fast<br />
ein bisschen übermütig. Sie würde gerne sagen: Es pocht und<br />
wabert, summt in sich zusammen, gibt sich dem Rausch der<br />
Ohren hin.<br />
Doch fraglich, ob er das verstünde, so sagt sie nur: Es<br />
sticht ein bisschen in dem linken Zeh. ‚Ein Stechen in dem<br />
linken Zeh‘, das steht wohl eher in dem dicken, abgewetzten<br />
Buche, das er da mit sich trägt. Doch schlägt er es nicht<br />
nach, er weiß es scheinbar so: „Das Fieber ist sehr hoch und<br />
ausgeprägt ist das Delirium. Sie ist im Wahn.“<br />
Elen meint, dass Doktoren nur viel zu kurze Sätze sagen<br />
und immer so, als seien die Patienten nicht dabei. Nun gut,<br />
versucht er bloß der Mutter zu erklären, die noch die Schürze<br />
mit dem Fettfleck trägt, so schnell war wohl der Doktor.<br />
Und überhaupt. Vielleicht will Elen ja im Wahn sein. Sie<br />
findet diesen Wahn nämlich auch gut. Obwohl sie gar nicht<br />
genau weiß, was er bedeutet. Der Wahn, der macht, dass man<br />
den Tag als Nacht durchschläft und letztere dafür ein bisschen<br />
wacher hält. Der macht, dass man ein bisschen seichter<br />
in dem Leben klemmt und ach, welch Träume er erst schenkt!<br />
Ein Traum, der nicht vom Schlaf bedingt, man braucht nur<br />
Müdigkeit, bestehend aus der Tiefe eines Schachts, sackt man<br />
in ihn hinein. In seine Farben, die so gefasst sind. Alles<br />
ist möglich dort. Er ist sogar betont und Elen würde diesem<br />
Traume all anderm vorziehen. Auch wenn es manchmal schlimm<br />
ist, man rennt, kommt nicht vom Fleck und kann nur Stille<br />
schreien.<br />
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