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Zeitschrift des Deutschen Olympischen Sportbundes und der ...

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chen Wert beimisst<br />

wie dem<br />

Gewinn <strong>der</strong><br />

Goldmedaille bei<br />

den <strong>Olympischen</strong><br />

Winterspielen<br />

1960 in Squaw<br />

Valley, hatte<br />

Recknagels<br />

Aufstieg begonnen.<br />

Zweiter Sieg<br />

am Holmenkollen<br />

1960, Weltmeister<br />

1960 <strong>und</strong><br />

1962, Gesamterster<br />

<strong>der</strong> deutschösterreichischen<br />

Vierschanzentournee 1957/1958, 1958/1959 <strong>und</strong> 1960/1961,<br />

Sieger <strong>der</strong> Skiflugwochen in Planica (1957 <strong>und</strong> 1960), in<br />

Oberstdorf (1958 <strong>und</strong> 1961) <strong>und</strong> in Mitterndorf (1962), DDR-<br />

Meister 1959, 1962 <strong>und</strong> 1963. Eine Bilanz, die ihm einen Platz<br />

in <strong>der</strong> Galerie <strong>der</strong> erfolgreichsten Skispringer aller Zeiten<br />

sichert.<br />

Dass in dieser Aufzählung nur Siege erwähnt werden, dürfte<br />

ihm nicht gefallen. "Medaillen sind eine feine Sache, <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

vierte Platz war <strong>und</strong> ist immer <strong>und</strong>ankbar", verallgemeinert er<br />

auch für an<strong>der</strong>e Sportarten. "Doch wer international Fünfter,<br />

Sechster o<strong>der</strong> Zehnter wird, verdient mehr Aufmerksamkeit<br />

als das heute <strong>der</strong> Fall ist", wendet er sich gegen die "Schon<strong>der</strong>-zweite-Platz-ist-eine-Nie<strong>der</strong>lage"-Einstellung.<br />

Vielleicht<br />

spukt da im Hinterkopf noch ein bisschen die Erinnerung an<br />

seinen Abschied 1964. Erstmals gab es bei Olympia Entscheidungen<br />

von <strong>der</strong> Normal- <strong>und</strong> <strong>der</strong> Großschanze. Mit den<br />

Plätzen sechs <strong>und</strong> sieben hatte er in Innsbruck zwar seine<br />

Zugehörigkeit zur Weltspitze bestätigt, doch die erhoffte<br />

Medaille blieb aus. Einige Wochen danach stellte er die<br />

Sprunglatten in die Ecke. Mit 27 <strong>und</strong> jung verheiratet wollte<br />

er sich ganz auf seine berufliche Zukunft konzentrieren.<br />

So bequem über das begonnene Sportstudium <strong>der</strong> Weg zum<br />

Trainer gewesen wäre, Tierarzt war sein Berufswunsch. Er legte<br />

den Sport nach sechs Semestern ad acta, holte das Abitur<br />

nach, <strong>und</strong> mit dem Studium <strong>der</strong> Veterinärmedizin an <strong>der</strong><br />

Humboldt-Universität verschlug es den Thüringer nach Berlin.<br />

Als Dr. med. vet. arbeitete er 17 Jahre, bis Dezember 1990, als<br />

Fachtierarzt für Lebensmittelhygiene in Fürstenwalde bei Berlin.<br />

Nach <strong>der</strong> politischen Wende zunächst arbeitslos, führten ihn<br />

unterschiedliche Jobs schließlich in ein Sanitätshaus, für das<br />

er K<strong>und</strong>enakquisition <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e Aufgaben erledigte.<br />

"Warum machst du das eigentlich nicht für einen eigenen<br />

Laden?", fragte er sich eines Tages. Ergebnis dieser Überlegungen<br />

ist jenes Sanitätshaus, das er mit Ehefrau Eva-Maria im<br />

November 1996 eröffnete. Eine orthopädische Werkstatt<br />

gehört dazu, <strong>und</strong> mittlerweile hat Recknagels Ges<strong>und</strong>heitsservice<br />

drei weitere Zweigstellen in <strong>und</strong> um Berlin. Tochter<br />

Heike wandelt bereits in Vaters Fußstapfen. "Aber drei, vier<br />

o<strong>der</strong> fünf Jahre möchte ich noch mitmachen", steckt er die<br />

Entfernung zum beruflichen Zielband ab.<br />

Von all seinen Sprüngen dürfte <strong>der</strong> in die Selbstständigkeit<br />

<strong>der</strong> kühnste <strong>und</strong> mutigste gewesen sein. "Man ist nie zu alt,<br />

Neues zu beginnen." Recht hat er. Und dass er mit 70 seine<br />

Biografie als Buch ("Eine Frage <strong>der</strong> Haltung") vorlegen konnte,<br />

ist ohnehin eine weitere goldverdächtige Leistung.<br />

Mit dem Buch hat Helmut Recknagel ein Häkchen hinter die<br />

sportliche Vergangenheit gemacht. Doch wenn das Gespräch<br />

auf die heutige Springergeneration kommt, spürt man schon,<br />

dass es ein bisschen in ihm nagt. "Warum springen uns die<br />

an<strong>der</strong>en davon?", fragt er mehr rhetorisch <strong>und</strong> beweist, dass<br />

er noch voll dabei ist. "Talente haben wir genügend", führt er<br />

den Gedanken weiter, "aber vielleicht werden die Gr<strong>und</strong>lagen<br />

vernachlässigt."<br />

Wer mit seinen sportlichen Anfängen vertraut ist, weiß, dass<br />

<strong>der</strong> junge Recknagel ebenso gut als Fußballer (trickreich,<br />

schnell, technisch versiert), als Leichtathlet (100 m in 11,4<br />

Sek., Weit 6,20 m, Hoch 1,74 m) o<strong>der</strong> als Wasserspringer<br />

(Zweieinhalb-Salto vom Dreimeterbrett) seinen Weg hätte<br />

machen können. "Wer vielseitig ist, wird auch <strong>der</strong> bessere<br />

Spezialist in seiner Sportart", meint er. Die Richtigkeit seiner<br />

These hat er selbst am besten bestätigt.<br />

Dass im heutigen Profisport "in manchen Bereichen Millionen<br />

verdient werden können <strong>und</strong> zu unerlaubten Mitteln verleiten",<br />

sieht er mit Besorgnis. Aber Neidgefühle, nein, die lässt<br />

er nicht aufkommen. Er schwärmt von den Zeiten, als er<br />

einzig <strong>und</strong> allein den Sieg anstrebte <strong>und</strong> we<strong>der</strong> er noch die<br />

an<strong>der</strong>en daran dachten, ob finanziell etwas herausspringen<br />

könnte. Wenn er nach erfolgreichem Wettkampf mit Fernglas,<br />

Kofferradio o<strong>der</strong> Armbanduhr als Preis nach Hause fuhr, war<br />

er glücklich. Olympiagold von Squaw Valley brachte ihm<br />

5.000 Mark <strong>der</strong> DDR ein. "Das reichte, um ein ordentliches<br />

Motorrad zu kaufen."<br />

Manchmal erzählt Opa Helmut seinen Enkelkin<strong>der</strong>n, Lea-Rosa<br />

(11) <strong>und</strong> Jophiel (8), davon, wie's damals war. Jetzt, in den<br />

bevorstehenden Winterferien, will er mit den beiden ins<br />

Gebirge nach Oberwiesenthal fahren. "Dort gibt's eine Skischule,<br />

<strong>und</strong> ich möchte den beiden das Skilaufen beibringen<br />

lassen", freut er sich darauf. "Ja, beibringen lassen", sagt er<br />

augenzwinkernd. "Selbst möchte ich es nicht machen. Ich<br />

habe wohl zu wenig Geduld."<br />

Wenige Tage nach unserem Gespräch musste sich Helmut<br />

Recknagel in <strong>der</strong> Berliner Charité nach lebensgefährlicher<br />

Infektion einer Not-Operation unterziehen. Wir wünschen<br />

ihm baldige Genesung.<br />

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