MOTORRAD 01/2016
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sein Herz offen für alle Bikes. Immer wenn<br />
er kann, fährt Helmut raus. Gerne in die<br />
Alpen. Kurvt sich schwindlig auf den Pässen,<br />
kehrt mit funkelnden Augen zurück:<br />
„Ach wie herrlich war das“. Er kämpft, doch<br />
irgendwann muss er die Firma aufgeben.<br />
Die Krankheit bahnt sich ihren Weg,<br />
Helmut wird jetzt oft „grantig“, dann wieder<br />
ist er der liebevollste Vater und teilt seine<br />
Freude an Motorrädern und neuestem Zubehör<br />
mit seiner Familie. Er fährt nur, wenn<br />
er sich hundertprozentig fit fühlt, will niemanden<br />
gefährden, legt Wert auf Qualität<br />
bei der Ausrüstung. Der Kauf einer neuen<br />
Jacke wird zum Ereignis. Signalgelb muss sie<br />
sein, er will gesehen werden, denn „Motorradfahrer<br />
werden zu häufig übersehen“.<br />
Helmut fährt immer wieder los, kurvt<br />
sich die Seele gesund, will unbedingt einmal<br />
im Leben das Nordkap sehen. Sein<br />
großes Ziel entgleitet ihm, tief im Innern<br />
nagt der Frust über die Krankheit und ihr<br />
zerstörerisches Werk. Er überspielt die Situation<br />
mit Sprüchen wie „schlechten Leuten<br />
geht es immer gut“. Überhaupt, Helmuts<br />
Sprüche: Mitunter versteht sie keiner außer<br />
ihm, dem alten Dickkopf. Seine Sturheit<br />
hat er mir vererbt, aber sicher auch seine<br />
Liebe zum Leben.<br />
An einem 27. habe ich Geburtstag und<br />
an einem 27. kommt mein Vater dieses<br />
Jahr von einer Motorrad-Tour nicht heim.<br />
Er verlässt die Welt im Alter von 59 Jahren<br />
auf seiner BMW, die er wie seinen Augapfel<br />
gehütet hat. Schnell wissen wir, dass mein<br />
Vater die andere Seite des Lebens mit<br />
Motorrad-Bekleidung bestreiten soll. Ein<br />
langer Brief von mir, ein paar private Dinge<br />
und die neueste Ausgabe von <strong>MOTORRAD</strong>,<br />
die er noch angefangen hat zu lesen, sollen<br />
ihn auf seinem Weg begleiten.<br />
Wenn es jemand gegeben hat, der diese<br />
Zeitschrift geliebt und jede Ausgabe mitsamt<br />
des Inhalts regelrecht studiert und<br />
dabei fast auswendig gelernt hat, dann<br />
Helmut. Jeden zweiten Freitag hat er den<br />
Briefträger persönlich abgefangen und<br />
ihm die neue <strong>MOTORRAD</strong> aus den Händen<br />
gerissen. Dann hat er sich in das Esszimmer<br />
verzogen und mit weithin sichtbarer Freude<br />
<strong>MOTORRAD</strong> gelesen. Erst nach einem<br />
Jahrgang durften die Hefte in den Keller<br />
Jeden zweiten<br />
Freitag hat Helmut<br />
die neue MOTOR-<br />
RAD geradezu<br />
verschlungen<br />
geräumt werden. Wo seit Anfang der Neunziger<br />
alle Ausgaben von <strong>MOTORRAD</strong> liebevoll<br />
archiviert sind. Helmut genoss die Mitgliedschaft<br />
im <strong>MOTORRAD</strong>-Helden-Club.<br />
Für mich gilt: „Papa, du bist mein Held“. Ich<br />
bin dankbar für jede Sekunde mit ihm. Er ist<br />
mein Vorbild, ich bin stolz auf sein großes<br />
Herz. Er fehlt mir so sehr, doch er ist nicht<br />
fort. Ich höre seine Stimme, diese spezielle<br />
Art, wie er sich am Telefon gemeldet, wie<br />
er uns alle begrüßt hat, wie er von seiner<br />
Maschine schwärmte und von seinem<br />
Traum, dem fernen Nordkap. Ich sehe noch<br />
die Begeisterung in seinen Augen.<br />
Ein klarer Nachthimmel lässt genau<br />
über unserem Haus einen besonderen<br />
Stern leuchten. Es ist die Wega, der zweithellste<br />
Himmelskörper der nördlichen<br />
Hemisphäre. Mein Papa, der über uns<br />
wacht, der da oben mit der BMW seine Kurvenradien<br />
zieht. Und irgendwann werde<br />
ich losfahren. Immer Richtung Norden,<br />
so lange, bis ich das Kap erreicht habe. Ich<br />
muss Helmuts Traum zu Ende träumen und<br />
für ihn alles sehen. Denn egal wohin ich<br />
gehe, mein Papa begleitet mich. Eines Tages<br />
wird er mich in den Arm nehmen und<br />
sagen: „So schön, dich wiederzusehen“.<br />
Die Landschaften und<br />
Wahrzeichen des Nordkaps<br />
(Bild oben und<br />
links) hat Helmut<br />
Masche nicht mehr<br />
gesehen. Bilder aus<br />
seinem Leben, als<br />
junger Mann (r.) und<br />
vor zirka einem Jahr<br />
Helmut in den Neunzigern<br />
(o.), Tochter<br />
Kathrin (l.) will das<br />
Nordkap für ihren<br />
Vater erleben und hat<br />
sich ein Erinnerungs-<br />
Tatoo machen lassen:<br />
Vater Helmut ist ihr<br />
großer Held für immer<br />
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