COMPACT-Magazin 02-2017
Jung, wild, patriotisch
Jung, wild, patriotisch
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<strong>COMPACT</strong> Editorial<br />
Trauern verboten<br />
Nach diesem Terror war das ganze Land geschockt.<br />
Die gesamte Staatsspitze hatte sich zu einer<br />
Trauerfeier versammelt, das Fernsehen übertrug<br />
die Zeremonie live. Die Bundeskanzlerin saß in der<br />
ersten Reihe, neben und hinter ihr die Angehörigen<br />
der Opfer. Angela Merkel hielt eine bewegende Rede:<br />
«Bevor wir die alles überragenden Fragen – ”Wie<br />
konnte das geschehen?” (…) ”Warum konnten wir<br />
das nicht verhindern?”– beantworten, bitte ich darum,<br />
dass wir schweigen. Schweigen, so wie heute<br />
um 12 Uhr Beschäftigte im ganzen Land schweigen<br />
werden. Gewerkschaften und Arbeitgeber haben<br />
das vereinbart.» Und weiter: «Viele Hinterbliebene<br />
sind heute unter uns. Ich weiß, wie schwer Ihnen<br />
das gefallen ist. Sie haben mir vorhin von ihrem großen<br />
Schmerz erzählt. Sie haben mir erzählt, wie allein<br />
gelassen sie sich gefühlt haben. Umso dankbarer bin<br />
ich, dass wir heute gemeinsam hier sein können.» Die<br />
Kanzlerin las die Namen der Ermordeten vor. Große<br />
Fotos von ihnen waren neben dem Rednerpodest aufgestellt.<br />
Schon zuvor hatten alle Massenmedien über<br />
die Menschen berichtet, die Fanatismus und Hass<br />
aus dem Kreis ihrer Familie gerissen hatten. Das offizielle<br />
Deutschland trauerte um diese Toten – damit<br />
war das Gedenken an sie zur Staatsräson geworden.<br />
Diese Geschichte hört sich an wie ein Märchen,<br />
denn jeder weiß, dass es eine solche Staatstrauer<br />
nach dem Berliner Weihnachtsmassaker nicht gegeben<br />
hat. Trotzdem ist alles wahr – es spielte sich lediglich<br />
viereinhalb Jahre früher ab: Im Februar 2012<br />
fand diese bewegende Feier statt, und die mitfühlenden<br />
Sätze hat die Rautenfrau tatsächlich gesprochen.<br />
Der Hintergrund: Die Ermordeten waren<br />
fast alle Ausländer gewesen, angeblich erschossen<br />
durch Inländer, durch Mitglieder des Nationalsozialistischen<br />
Untergrunds (NSU). Streiten wir nicht über<br />
die Gräber hinweg, was daran stimmt oder nicht: Gut<br />
war jedenfalls, dass der Toten würdig gedacht wurde.<br />
Es stellt sich aber die Frage, warum um die Opfer<br />
des 19. Dezember 2016 nicht in ähnlicher Weise<br />
getrauert wird. Immerhin handelte es sich um den<br />
größten Terroranschlag seit 36 Jahren, seit der Bombe<br />
auf dem Oktoberfest 1980. Von den zwölf Toten<br />
des Breitscheidplatzes sind fünf Ausländer. Ihre Namen<br />
sind bekannt, weil ihre Regierungen ihnen die<br />
letzte Ehre erwiesen haben: Am Sarg des Lkw-Fahrers<br />
Lukasz Urban kniete der polnische Staatspräsident<br />
Andrzej Duda. An der Trauerfeier für die junge<br />
Italienerin Fabrizia Di Lorenzo nahmen der Staatspräsident<br />
Sergio Mattarella und der Innenminister<br />
Marco Minniti teil. Über die Israelin Dalia Elyakim<br />
berichtete die Presse ihres Landes, aber auch die<br />
New York Times in großer Aufmachung.<br />
Die deutschen Opfer aber wurden verscharrt,<br />
ohne dass die Öffentlichkeit je ihre Namen erfuhr.<br />
Nirgendwo erschien ein Foto von ihnen. Die Öffentlichkeit<br />
weiß, ganz anders als bei den NSU-Toten,<br />
nichts von ihrem Leben, ihrer Arbeit, ihren Träumen.<br />
Nur über eine einzige Beerdigung wurde berichtet,<br />
weil eine einzige Regionalzeitung einen Reporter<br />
geschickt hatte: Am 6. Januar wurde Sebastian B.<br />
im brandenburgischen Ragösen beigesetzt. Fast<br />
300 Trauernde zwängten sich in die kleine Dorfkirche,<br />
die Türen konnten kaum geschlossen werden.<br />
Das heißt: Das Volk empfindet sehr wohl Schmerz<br />
und Verzweiflung. Aber es wird von der Politik im<br />
Stich gelassen: Ministerpräsident Dietmar Woidke<br />
(SPD) ließ sich gerade dazu herab, eine Kondolenzkarte<br />
zu schicken. Schäbiger geht’s nicht.<br />
Die Trauer ist unerwünscht, weil beim Weihnachtsanschlag<br />
ein Moslem der Täter war – und<br />
die meisten Opfer Deutsche sind. Die Multikulti-<br />
Ideologie aber hat festgelegt: Terror hat nie etwas<br />
mit dem Islam zu tun, und die Deutschen sind immer<br />
die Schuldigen. Was dazu nicht passt, wird wegzensiert.<br />
Aber wollen wir uns wirklich nicht nur unsere<br />
Heimat und unser Leben, sondern auch unsere Toten<br />
stehlen lassen?<br />
Chefredakteur Jürgen Elsässer.<br />
Foto: Jörg Gründler<br />
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