23.02.2017 Aufrufe

COMPACT-Magazin 02-2017

Jung, wild, patriotisch

Jung, wild, patriotisch

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>COMPACT</strong> Leben<br />

Schlemmen mit<br />

Luther<br />

Das Panoramabild von Yadegar Asisi zeigt Wittenberg im<br />

Jahre 1517. Foto: Tom Schulze/asisi<br />

Der deutsche Reformator<br />

Die politische Vereinnahmung des Reformators<br />

ist nichts Neues. Darauf weist sogar Angela Merkel<br />

höchstpersönlich in ihrem Beitrag «Mein Luther» in<br />

Die politische Meinung, einer Publikation der Konrad-Adenauer-Stiftung,<br />

hin. Demnach wurde der Kirchengründer<br />

in der DDR in den Kontext einer «frühbürgerlichen<br />

Revolution» gestellt, die für die SED<br />

den Weg zum «Arbeiter- und Bauernstaat» ebnete.<br />

Auch für die evangelischen Deutschen Christen<br />

wie für die Deutsche Glaubensbewegung im Dritten<br />

Reich war Luther eine wichtige Identifikationsfigur.<br />

Der Vorsitzende dieser NSDAP-nahen Organisation,<br />

Jakob Wilhelm Hauer, bezeichnet ihn in<br />

seinem Buch Deutsche Gottschau als «einen der<br />

größten Deutschen». Den Beinamen «Lutherstadt»<br />

trägt Wittenberg übrigens erst seit dem Jahr 1938 –<br />

der Antrag wurde zwar schon 1922 gestellt, aber<br />

erst von den Nationalsozialisten endgültig genehmigt.<br />

Die SED sah keine Veranlassung, diese Bezeichnung<br />

aufzuheben.<br />

«Der deutsche Luther» ist aufgrund der NS-Vereinnahmung<br />

tabu und wird in den meisten Beiträgen,<br />

die derzeit veröffentlicht werden, heruntergespielt.<br />

Dass er für unser Volk eine besondere Rolle spielte,<br />

muss deshalb noch einmal besonders betont werden<br />

– nicht nur wegen seiner Bibelübersetzung. Seine<br />

Auflehnung gegen die spirituelle Fremdherrschaft<br />

der römischen Päpste hatte auch eine politische Dimension<br />

– und eine wirtschaftliche: Die Erpressungsmethoden<br />

Roms, insbesondere der Ablasshandel,<br />

und die neue Bankenwirtschaft in Florenz,<br />

die gegen Ende des 15. Jahrhunderts zu einer Finanzkrise<br />

in Nordeuropa führte, waren für die Verarmung<br />

weiter Teile des deutschen Volkes mitverantwortlich.<br />

Wer die malerische Stadt zwischen Berlin und<br />

Leipzig im aktuellen Jubiläumsjahr besuchen will,<br />

muss außer der steigenden Kommerzialisierung<br />

auch Beschwernisse in Kauf nehmen. Neben der<br />

riesigen Baustelle hinter der Schlosskirche ist auch<br />

das Lutherhaus betroffen, in dem der ehemalige Augustinermönch<br />

mit seiner Käthe und den Kindern<br />

lebte und wirkte. Es ist derzeit wegen Umbauarbeiten<br />

bis zum 3. März <strong>2017</strong> geschlossen. Im Laufe der<br />

nächsten Monate werden noch weitere Absperrungen<br />

entstehen, im städtischen Raum sind verschiedene<br />

Installationen geplant.<br />

Ein großes Projekt wurde bereits seit Oktober<br />

realisiert und in den ersten zehn Wochen schon von<br />

50.000 Besuchern bestaunt: das gigantische Panorama<br />

von Yadegar Assisi, das das historische Wittenberg<br />

im 16. Jahrhundert simuliert. Wenn man<br />

der Computergrafik auf dem großformatigen Rondell<br />

Glauben schenkt, war es eine chaotische, mittelalterliche,<br />

dreckige Stadt. Der Künstler, ein iranischer<br />

Atheist aus einer kommunistischen Familie,<br />

erklärte, was ihn am Jahr 1517 fasziniert: «Wie die<br />

Weltgeschichte in das kleine Wittenberg einbricht.<br />

Seit der Verbrennung von Jan Hus hundert Jahre zuvor<br />

war das Papsttum in der Krise, und nun wurde ein<br />

Medici Papst, der den Ablasshandel so sehr forcierte,<br />

dass Luther als aufrechter Mönch sich empörte.<br />

Ich habe eine ganze Reihe Porträts von ihm gezeichnet,<br />

um seinen inneren Zustand zu ergründen. Mich<br />

interessierte nicht die Frage nach Gott, sondern wie<br />

Menschen sich mithilfe eines Glaubens einigen –<br />

oder sich deswegen die Köpfe einschlagen.»<br />

Das ganze Jahr über kann man<br />

in der Tourismuszentrale Spezialführungen<br />

buchen und<br />

die kulinarische Vielfalt von<br />

Luthers Wittenberg erleben. Als<br />

Gruppe kann man hier wahlweise<br />

«Mit Cranachs essen»<br />

oder für unchristliche 321 Euro<br />

«mit Luthers» – ein mittelalterliches<br />

5-Gänge Menü mit musikalischer<br />

Begleitung, den berühmten<br />

Tischreden und einer durchsetzungsfähigen<br />

Katharina<br />

Luther.<br />

Wer nicht so tief in die Tasche<br />

greifen will, kann im Haus des<br />

Handwerks einkehren. Der Wirt<br />

Dirk Teschner serviert seinen<br />

Gästen gerne die Leibspeise des<br />

großen Reformators: Heringshappen<br />

auf Erbspüree mit Ingwer.<br />

Dazu wird Brot gereicht. Die<br />

grüne Farbe erinnert ein bisschen<br />

an Wasabi, und überhaupt<br />

könnte das Gericht eine deutsche<br />

Mittelalter-Version des<br />

japanischen Sushis sein. Die<br />

Heilwirkung von Ingwer war<br />

den Europäern übrigens schon<br />

im Mittelalter bekannt – auch<br />

Hildegard von Bingen wusste<br />

davon.<br />

Das Jubiläum beschert Deutschland<br />

<strong>2017</strong> den Reformationstag als<br />

bundesweiten Feiertag.<br />

Foto: luther<strong>2017</strong>.de<br />

Die Päpste waren<br />

für die Verarmung<br />

weiter Teile des<br />

deutschen Volkes<br />

mitverantwortlich.<br />

53

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!