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COMPACT-Magazin 02-2017

Jung, wild, patriotisch

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Die einsame Straße ins ewige Eis<br />

_ von Kolja Spöri<br />

54<br />

So weit drang noch kein Ausländer vor: Eine Expedition in den<br />

äußersten Norden Sibiriens ist nichts für Anfänger. Zwischen<br />

Birken und Borschtsch birgt die Reise anfangs nur begrenzte<br />

Sinnesfreuden. Doch bald schon kommt der Moment, in dem das Eis<br />

schmilzt – trotz klirrender Kälte.<br />

Geschafft: Bei 66 Grad und 33<br />

Minuten nördlicher Breite liegt der<br />

Polarkreis. Foto: Kolja Spöri<br />

Die wahren Talente<br />

der Russen: improvisieren,<br />

Kälte<br />

und Schmerz ignorieren.<br />

Schlafendes Land – so tauften tatarische Reiternomaden<br />

ihr Sibir. Unter Permafrost schlummert<br />

es, zwanzig Mal so groß wie die Bundesrepublik.<br />

Vom ewigen Eis für immer verschluckt wurden<br />

Steppenvölker wie die Skythen, ausgestorbene Tierarten<br />

wie Wollmammuts und unerforschte Erreger<br />

wie das Mollivirus.<br />

Nach 30.000 Kilometern von Murmansk über<br />

Moskau nach Magadan lodert in mir noch ein Lebenstraum:<br />

die eisige Anabar-Route zum nördlichsten<br />

Straßenende der Welt zu fahren, als einer der<br />

ersten Ausländer – die ultimativ coolste Sackgasse,<br />

noch weiter nördlich als das Nordkap in Norwegen.<br />

Die Anabar ist ein Zimnik, eine der legendären<br />

russischen Winterstraßen, die jedes Jahr zwischen<br />

Dezember und März von Staats wegen neu präpariert<br />

werden, mit Schneeraupen und Bulldozern, um<br />

die entlegensten Winkel für die Versorgung der Bevölkerung<br />

zugänglich zu machen – und zur Erschließung<br />

von Öl-, Gas- und Goldvorkommen.<br />

Wir, das Expeditionsteam, sind drei Germanen<br />

der Generation Google Earth. In Irkutsk besteigen<br />

wir unseren Geländewagen – einen russischen Lada.<br />

Sibiriens bekannteste Stadt gehört mit 600.000 Einwohnern<br />

noch nicht einmal zu den zwanzig größten<br />

in Russland. Sie ist am berühmten Baikalsee gelegen,<br />

dem tiefsten und ältesten Süßwasserreservoir<br />

der Erde.<br />

Eiseskälte und echte Männer<br />

Die Einfahrt in die kalte Hölle beginnt für uns hinter<br />

Ust-Kut, dem Verbannungsort von Leo Bronstein,<br />

genannt Trotzki, der ironischerweise nicht hier, sondern<br />

vierzig Jahre später im warmen Mexiko verstarb.<br />

An einem Eispickel in seinem Schädel – mit<br />

Grüßen von Stalin. Bei Werchnemarkowo hört die<br />

asphaltierte Ganzjahresstraße plötzlich auf, und es<br />

beginnt die Winterpiste zu den gigantischen Talokan-Gasfeldern<br />

von Gazprom. Auf den nächsten<br />

1.000 Kilometern gibt es weder Tankstellen noch<br />

Polizisten, kein Handynetz, keine Frauen und keine<br />

Genderbeauftragten. Hier überleben nur beinharte<br />

Zimnik-Trucker.<br />

Manche der professionellen Fernfahrer haben einen<br />

Hochschulabschluss und verdienen in den drei<br />

Wintermonaten genug für den Rest des Jahres. An-

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