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Rede auf dem Valdai-Forum am 19. September 2013<br />
die Schwerpunkte der Herausforderungen in der Wirtschaft, in der Technologie und in<br />
den ideologischen Informationen. Militärische und politische Probleme nehmen zu, und<br />
die Rahmenbedingungen verschlechtern sich. Die Welt wird immer rücksichtsloser, und<br />
manchmal wird nicht nur das Völkerrecht missachtet, sondern auch immer öfter die elementarste<br />
Gepflogenheit des Anstandes.<br />
Jedes Land braucht militärische, technologische und wirtschaftliche Stärke, aber ob<br />
diese erfolgreich sein wird, wird einzig und alleine von der Qualität des Volkes, der<br />
Gesellschaft und ihrer intellektuellen, geistigen und moralischen Stärke bestimmt.<br />
Schließlich hängt am Ende das Wirtschaftswachstum der Wohlstand und der geopolitische<br />
Einfluss von der gesellschaftlichen Vitalität ab. Sie hängen davon ab, ob die Bürger<br />
eines Landes sich als eine Nation betrachten, in welchem Umfang sie sich mit ihr und<br />
mit ihrer eigenen Geschichte identifizieren, mit ihren Werten und Traditionen, und ob<br />
sie sich durch gemeinsame Ziele und Aufgaben verbunden fühlen. Deshalb ist diese<br />
Frage, wie wir die Stärkung unserer nationalen Identität erreichen, so fundamental und<br />
grundlegend für Russland.<br />
Das Fehlen einer nationalen Idee<br />
Unterdessen steht die nationale Identität Russlands unter Druck, nicht nur wegen<br />
der Globalisierung, sondern auch angesichts der nationalen Katastrophen des zwanzigsten<br />
Jahrhunderts, in denen wir den Zusammenbruch unseres Staates zweimal erleben<br />
mussten. Das Ergebnis war ein verheerender Schlag für die kulturellen und spirituellen<br />
Normen unserer Nation. Wir wurden mit der Zerstörung der Traditionen und der Harmonie<br />
der Geschichte, mit der Demoralisierung der Gesellschaft, mit einem Defizit von<br />
Vertrauen und Verantwortung konfrontiert. Das sind die Ursachen der vielen drängenden<br />
Probleme, denen wir uns heute gegenübersehen. Denn die Frage nach der Verantwortung<br />
für uns selbst, gegenüber der Gesellschaft und vor dem Gesetz, ist etwas Grundlegendes,<br />
für die Funktionsweise von Recht und Gesetz wie für den privaten Alltag.<br />
Nach 1991 gab es die Illusion, dass eine neue nationale Ideologie, beziehungsweise<br />
die Entwicklung zur Ideologie, einfach von selbst entstehen würde. Dem Staat, den<br />
Behörden und den Experten der intellektuellen und politischen Bereiche wurde die Beteiligung<br />
an dieser Arbeit sogar praktisch verweigert, gerade auch weil die frühere, teils<br />
offizielle Ideologie so schwer zu schlucken war. Und in der Tat waren auch sehr viele<br />
einfach zu ängstlich, das Thema anzusprechen. Darüber hinaus nutzte das Fehlen einer<br />
nationalen Idee, die sich aus einer nationalen Identität speist, der Elite und ihren quasikolonialen<br />
Elementen – genau jenen, die Kapital stehlen und wegschaffen wollten und<br />
die ihre Zukunft nicht mit der ihres Landes verknüpften, sondern dieses nur als einen Ort<br />
zum Geldverdienen ansahen.<br />
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