COMPACT-Edition 1
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«Die Identitäten der Völker erhalten»<br />
Es gibt noch einen wesentlichen Aspekt, auf den ich Ihre Aufmerksamkeit lenken<br />
möchte. In Europa und in einigen anderen Ländern wird der sogenannte Multikulturalismus<br />
transplantiert, ein in vielerlei Hinsicht künstliches Modell, das nun aus verständlichen<br />
Gründen in Frage gestellt wird. Das ist die Rechnung für die koloniale Vergangenheit.<br />
Und es ist kein Zufall, dass heute europäische Politiker und Persönlichkeiten des<br />
öffentlichen Lebens vermehrt über das Versagen des Multikulturalismus diskutieren,<br />
und dass sie nicht in der Lage seien, Fremdsprachen oder fremde Kulturen in ihre Gesellschaft<br />
zu integrieren.<br />
Im Verlauf der letzten Jahrhunderte ist in Russland, obwohl es von einigen als «Völkergefängnis»<br />
betitelt wurde, noch nicht einmal die kleinste ethnische Gruppe verschwunden.<br />
Sie haben nicht nur ihre innere Autonomie und kulturelle Identität behalten,<br />
sondern auch ihren historischen Siedlungsraum. Wie Sie wissen, war ich selber sehr<br />
daran interessiert, darüber etwas zu erfahren, weil ich selber keine Ahnung darüber<br />
hatte, dass die Behörden in der Sowjetzeit darauf so großen Wert legten, dass praktisch<br />
jeder noch so kleinen ethnischen Gruppe ihre Printmedien finanziert wurden, um den<br />
Erhalt ihrer Sprache und ihrer Nationalliteratur zu sichern. Vieles von dem, was in dieser<br />
Hinsicht getan wurde, sollten wir übernehmen und wieder einführen.<br />
Dank der verschiedenen Kulturen Russlands haben wir einen einzigartigen Erfahrungsschatz<br />
der gegenseitigen Beeinflussung, des gegenseitigen Respekts und der gegenseitigen<br />
Bereicherung. Diese Multikulturalität und Multiethnizität lebt in unserem<br />
historischen Bewusstsein, in unserem Geist und in unserer historischen Verfassung.<br />
Unser Staat hat sich im Laufe eines Jahrtausends auf der Grundlage dieses organischen<br />
Modells entwickelt.<br />
Russland hat sich, wie es der Philosoph Konstantin Leontjew lebhaft beschrieb,<br />
schon immer aus «der blühenden Komplexität» einer Staats-Zivilisation entwickelt,<br />
die vom russischen Volk, der russischen Sprache, der russischen Kultur, der russischorthodoxen<br />
Kirche und anderen traditionellen Religionen des Landes geprägt wurde. Es<br />
ist gerade dieses Modell einer Staats-Zivilisation, die unsere Staatspolitik geformt hat.<br />
Russland hat immer die unterschiedlichen ethnischen und religiösen Besonderheiten<br />
der einzelnen Gebiete geschmeidig anerkannt und respektiert, woraus die Vielfalt in der<br />
Einheit resultierte.<br />
Das Christentum, der Islam, der Buddhismus, das Judentum und andere Religionen<br />
bilden einen integralen Bestandteil der Identität Russlands, des historischen Erbes und<br />
auch des heutigen Lebens unserer Bürger. Die Hauptaufgabe des Staates, die in der Verfassung<br />
verankert ist, besteht darin, gleiche Rechte für die Anhänger der traditionellen<br />
Religionen, wie für Atheisten sowie Gewissensfreiheit für alle Bürger zu gewährleisten.<br />
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