Dauner-Lieb - Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Wirtschaftsrecht und ...
Dauner-Lieb - Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Wirtschaftsrecht und ...
Dauner-Lieb - Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Wirtschaftsrecht und ...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
20<br />
21<br />
§ 253 Abschnitt 1 | Inhalt der Schuldverhältnisse<br />
infolge eines plötzlichen Blackouts kein Verschulden traf, wobei der BGH 88 aussprach, dass jedenfalls eine<br />
bestehende Pflichthaftpflichtversicherung in die Billigkeitsabwägung einzubeziehen sei. Durch die Einräumung<br />
eines Schmerzensgeldanspruchs auch bei der Gefährdungshaftung ist die Problematik entschärft, weil<br />
sich der Halter gegenüber nicht motorisierten Verkehrsteilnehmern, also Fußgängern, Radfahrern <strong>und</strong> Insassen,<br />
nicht mehr auf ein unabwendbares Ereignis berufen kann <strong>und</strong> ein solcher Blackout nicht als höhere Gewalt<br />
gem. § 7 Abs. 2 StVG anzusehen ist.<br />
Weiterhin bedeutsam ist das Problem bei der Kollision von zwei Fahrzeugen <strong>und</strong> einer Körperverletzung eines<br />
Halters gem. § 17 Abs. 3 StVG sowie bei einer Verletzung durch deliktsunfähige Kinder. Es gibt in der Literatur<br />
durchaus beachtliche Gründe, nicht nur eine Pflicht-, sondern auch eine freiwillige Haftpflichtversicherung<br />
im Rahmen der Billigkeitsabwägung zu berücksichtigen. 89 Aber selbst dann ist zu beachten, dass bei der<br />
Zubilligung des Schmerzensgeldanspruchs berücksichtigt wird, ob der übrige materielle Schaden voll abgedeckt<br />
wird, 90 sowie dass eine Korrektur durch die Billigkeit geboten sein muss. Es werden nicht ganz so strenge<br />
Maßstäbe angelegt wie bei der Frage der Zubilligung eines Schmerzensgeldanspruchs gegen den Entschädigungsfonds<br />
nach einer Fahrerflucht nach § 12 Abs. 2 S. 1 PflVG. 91<br />
Sonstige Anspruchsgr<strong>und</strong>lagen<br />
Neben den genannten vertraglichen <strong>und</strong> deliktischen Anspruchsgr<strong>und</strong>lagen sowie denen aus der Gefährdungshaftung<br />
unter Einschluss der Amtshaftung92 sind weitere denkbar: Der Eintritt eines Körperschadens<br />
wird als Aufwendung bei der Geschäftsführung ohne Auftrag qualifiziert, mit der Folge, dass Ersatz nach<br />
§ 683 in Betracht kommt. Neben Ansprüchen aus dem Sachen-, Familien- <strong>und</strong> Erbrecht93 kommen auch Aufopferungsansprüche94<br />
sowie weitere Ansprüche aus dem öffentlichen <strong>Recht</strong> in Betracht. 95 Bei einem nachbarrechtlichen<br />
Ausgleichsanspruch hat der BGH96 einen Schmerzensgeldanspruch mit der Begründung versagt,<br />
dass es sich um einen Ausgleichsanspruch zwischen Liegenschaftseigentümern handle <strong>und</strong> nicht um<br />
einen Schadensersatzanspruch. Diese Begründung ist reichlich formal. 97 Wer schon Erschütterungen durch<br />
ein Bergwerksunternehmen zu dulden hat <strong>und</strong> sich dagegen nicht mit einem Unterlassungsanspruch zur Wehr<br />
setzen kann, soll wenigstens auch Ersatz <strong>für</strong> die erlittenen – auch immateriellen – Einbußen infolge Beeinträchtigung<br />
seiner körperlichen Integrität erhalten. 98 Psychische Schäden infolge der Aufregungen bei Vergleichsverhandlungen<br />
sind jedoch mangels eines rechtswidrigen Verhaltens nicht ersatzfähig. 99<br />
V.<br />
Inkrafttreten der Neuregelung<br />
Nach Art. 229 § 8 Abs. 1 EGBGB trat die Neuregelung mit dem 1.8.2002 in Kraft. Maßgeblich ist dabei das<br />
zum Schadensersatz verpflichtende Verhalten, somit die Verletzungshandlung <strong>und</strong> nicht der Schadenseintritt.<br />
100 Bedeutsam ist das vor allem in den Fällen, in denen es aufgr<strong>und</strong> eines Verhaltens vor dem 1.8.2002<br />
zu einem Folgeschaden in der Zeit nach dem 1.8.2002 kommt. Solche Sachverhalte sind nach altem <strong>Recht</strong> zu<br />
beurteilen. 101<br />
VI.<br />
22<br />
88 BGHZ 127, 186 = NJW 1995, 452 = LM § 829 BGB<br />
Nr. 10 (Schiemann) = MDR 1995, 992 (<strong>Lieb</strong>).<br />
89 Schiemann, Anm. zu BGH LM § 829 BGB Nr. 10;<br />
Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, 13. Aufl. (1994),<br />
S. 652; Kilian, ZGS 2003, 168, 171 f; Heß/Buller, zfs<br />
2003, 218, 220.<br />
90 OLG Nürnberg r+s 1999, 23; OLG Saarbrücken VersR<br />
2000, 1427.<br />
91 OLG Saarbrücken VersR 1998, 1427: schwere Verletzung,<br />
über ein Jahr Aufenthalt in Kliniken, Verlust der<br />
beruflichen Existenz, Erschwerung der Heiratschancen,<br />
Kürzung des Schmerzensgeldes unter Hinweis auf<br />
§ 829 von 60.000 EUR auf 40.000 EUR, somit um <strong>und</strong><br />
nicht auf ein Drittel.<br />
92 OLG Brandenburg MDR 2010, 809: Verstoß gegen die<br />
Streupflicht durch die Gemeinde.<br />
93 Deutsch, ZRP 2001, 351, 352; AnwK-SchuldR/<br />
Ch. Huber, § 253 Rn 11; MüKo/Oetker, § 253 Rn 18.<br />
174 Huber<br />
94 Umfassend Benkendorff, Schmerzensgeld außerhalb<br />
des Schadensersatzrechts; gegen einen Anspruch auf<br />
Schmerzensgeld bei solchen sowie aus Geschäftsführung<br />
ohne Auftrag S. Müller, ZGS 2010, 538, 540 f.<br />
95 MüKo/Oetker, § 253 Rn 20.<br />
96 BGH NJW 2010, 3160 = LMK 2010, 309746 (Majer).<br />
97 So auch Schulte-Noelke, ZGS 2010, 433.<br />
98 So auch Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2 § 85 II 5;<br />
Staudinger (2009)/H. Roth § 906 Rn 77, 110; aA S.<br />
Müller, ZGS 2010, 538 ff.<br />
99 OLG Hamm NZV 2006, 37: Nervenzusammenbruch<br />
nach Mitteilung, dass statt der in Aussicht genommenen<br />
Abstandssumme von 480.000 EUR nur<br />
30.000 EUR gezahlt werden sollen.<br />
100 MüKo/Oetker, § 253 Rn 3; van Bühren/Jahnke, Teil 4<br />
Rn 182.<br />
101 Wagner, NJW 2002, 2049, 2064.