Dauner-Lieb - Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Wirtschaftsrecht und ...
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Immaterieller Schaden § 253<br />
satzrechtsänderungsgesetzes ursprünglich vorgesehenen <strong>und</strong> erst im letzten Moment durch den <strong>Recht</strong>sausschuss<br />
gestrichenen Bagatellschwelle haben die Haftpflichtversicherer darüber hinaus die Hoffnung verknüpft,<br />
dass auf diese Weise bei nicht objektivierbaren HWS-Verletzungen ersten Grades ein Ersatz stets zu versagen<br />
gewesen wäre. 450 Das wäre bei Kodifizierung einer Erheblichkeitsschwelle problematisch gewesen <strong>und</strong> ist es<br />
ohne solche gesetzliche Fixierung umso mehr. Solche häufig vorkommenden Verletzungen 451 zeichnen sich<br />
dadurch aus, dass in vielen Fällen ungewiss ist, ob es durch den Unfall tatsächlich zu einer Ges<strong>und</strong>heitsbeeinträchtigung<br />
gekommen ist oder ob das nicht der Fall ist. 452 Für Simulanten ist der häufig zuerkannte Betrag<br />
von 500 EUR zu viel, <strong>und</strong> <strong>für</strong> solche, die wirklich eine Ges<strong>und</strong>heitsbeeinträchtigung erlitten haben, ist er zu<br />
gering. Es bleibt in diesen Fällen nichts anderes übrig, als nach dem richterlichen Judiz zu entscheiden, ob der<br />
Anspruchsteller zur einen oder anderen Gruppe gehört. 453<br />
3. Freiheit. Ähnliche Abgrenzungsprobleme ergeben sich bei Beeinträchtigung der Freiheit. Bagatellen sollen<br />
auch hier nicht mit einem Schmerzensgeld geahndet werden; 454 freilich steht die Maßregelung derjenigen,<br />
die rechtswidrig die Freiheit, ein <strong>Recht</strong>sgut von besonders hohem Rang, beeinträchtigt haben, so sehr im<br />
Vordergr<strong>und</strong>, dass auch ganz geringfügige Beträge schon wegen der plakativen Wirkung des Verurteilten<br />
zugesprochen werden, so etwa 100 EUR wegen eines zweistündigen Einsperrens nach einer Razzia 455<br />
oder 50 EUR wegen eines unberechtigten kurzfristigen Festhaltens eines vermeintlichen Ladendiebs. 456 Entsprechendes<br />
gilt <strong>für</strong> unwürdige Haftbedingungen. Bei einem kurzen Zeitraum – 2 Tage 457 – wird die Feststellung<br />
von <strong>Recht</strong>swidrigkeit <strong>und</strong> Verschulden <strong>für</strong> die Genugtuung des Verletzten <strong>für</strong> ausreichend angesehen,<br />
458 bei längerer Dauer wird eine Geldentschädigung zugebilligt, die mitunter bloß symbolischen Charakter<br />
hat. 459 Mitunter ist der Anspruch davon abhängig, dass der Betroffene ein Abhilfebegehren geäußert hat. 460<br />
Der Tagessatz bewegt sich in Anlehnung an § 7 Abs. 3 StEG von 11 EUR bzw 20 EUR pro Tag. 461<br />
Vergleichbarer Zuspruch bei vergleichbaren Verletzungen – Schmerzensgeldtabellen<br />
Die Schmerzensgeldbemessung steht im Spannungsverhältnis zwischen einer gleichförmigen Festsetzung des<br />
Ersatzbetrags <strong>für</strong> vergleichbare Verletzungen462 <strong>und</strong> der Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls.<br />
Schmerzensgeldtabellen, insbesondere in elektronisch aufbereiteter Form, 463 mitunter auch solche im Internet,<br />
464 sind ein vorzügliches Hilfsmittel, ein Präjudiz aufzufinden465 <strong>und</strong> auszuloten, in welchem Rahmen sich<br />
ein Zuspruch bewegen kann. 466 Von den über 400.000 Personen, die pro Jahr aus Verkehrsunfällen Schmerzensgeldansprüche<br />
haben, kommen jährlich ca. 300 Gerichtsentscheidungen in die Datenbanken hinzu. 467 Eine<br />
„Präzision auf Heller <strong>und</strong> Pfennig“ ist dabei freilich nicht möglich. 468 Ein Präjudiz ist aber nicht mehr als ein<br />
Anhaltspunkt. 469 Insbesondere gibt es keine Gliedertaxen. 470 Eine mechanische Anwendung hat zu unterbleiben.<br />
Insbesondere dürfen einzelne Verletzungsfolgen nicht jeweils gesondert betrachtet <strong>und</strong> die da<strong>für</strong> gebührenden<br />
Schmerzensgelder aufaddiert werden. 471 IV.<br />
80<br />
Die Anknüpfung an ein Judiz setzt Übereinstimmung in möglichst<br />
vielen Sachverhaltselementen voraus, wo<strong>für</strong> die Sensibilität – wegen der Bindung eines solchen Judizes<br />
450 Küppersbusch, Rn 285.<br />
451 Dannert, NZV 1999, 453, 460: 400.000 pro Jahr, davon<br />
200.000 solche ersten Grades.<br />
452 G. Müller, VersR 2003, 1, 4.<br />
453 Dazu ausführlich Ch. Huber, Das neue Schadensersatzrecht,<br />
§ 2 Rn 103 ff.<br />
454 Jaeger/Luckey, Rn 292; Geigel/Pardey, Kap. 7 Rn 14,<br />
77; OLG Koblenz NJW 2000, 962.<br />
455 LG Göttingen NJW 1991, 236.<br />
456 AG Regensburg NJW-RR 1999, 1402; kritisch dazu<br />
Bamberger/Roth/Spindler (18. Edition), § 253 Rn 49.<br />
457 BGH NJW 2005, 58.<br />
458 BGH NJW 2004, 1241.<br />
459 So wohl OLG Karlsruhe NJW-RR 2005, 1267:<br />
2.000 EUR <strong>für</strong> 157 Tage in einer 9 m 2 großen Zelle<br />
ohne gesondert entlüfteter Toilette mit einem Mitgefangenen;<br />
Verurteilung <strong>und</strong> damit öffentliche Anprangerung<br />
der Verhältnisse <strong>für</strong> Genugtuung des Anspruchstellers<br />
im Vordergr<strong>und</strong>.<br />
460 OLG Karlsruhe NJW-RR 2005, 1267.<br />
461 KG NJW-RR 2005, 1478; sehr viel großzügiger allerdings<br />
OLG Celle NJW 2003, 2463: 100 EUR pro Tag.<br />
462 Bamberger/Roth/Spindler (18. Edition), § 253 Rn 26;<br />
MüKo/Oetker, § 253 Rn 37.<br />
463 Aktuell: Jaeger/Luckey, Schmerzensgeld, 5. Aufl.<br />
2010; Hacks/Ring/Böhm, Schmerzensgeldbeträge,<br />
29. Aufl. 2011; Slizyk, Beck’sche Schmerzensgeld-<br />
Tabelle, 7. Aufl. 2011; ADAJUR.<br />
464 www.schmerzensgeld.info.<br />
465 Wussow/Kürschner, Kap. 54 Rn 36 f.<br />
466 OLG Nürnberg, NJOZ 2006, 1674: 80.000 EUR angemessen;<br />
120.000 EUR ist außerhalb des vertretbaren<br />
Rahmens.<br />
467 Rolle, VRR 2010, 124.<br />
468 KG VersR 2011, 275.<br />
469 OLG Karlsruhe VersR 2001, 1175; Geigel/Pardey,<br />
Kap. 7 Rn 54.<br />
470 Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang darauf,<br />
dass eine Arbeitsgruppe des europäischen Parlaments<br />
ein Barème ausgearbeitet hat, wonach zumindest die<br />
Determinanten der sachverständigen Beurteilung von<br />
Verletzungen im Hinblick auf die erlittenen Schmerzen<br />
im Rahmen der EU vereinheitlicht werden sollen; diese<br />
Vorschläge wurden <strong>und</strong> werden auf den Europäischen<br />
Verkehrsrechtstagen in Trier/Luxemburg diskutiert –<br />
<strong>und</strong> eines Tages wohl in eine Richtlinie münden.<br />
471 OLG Saarbrücken NJW-RR 2006, 1165; SP 2006, 205;<br />
Luckey, in: FS Eggert (2008) S. 181, 192.<br />
Huber 195<br />
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