Dauner-Lieb - Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Wirtschaftsrecht und ...
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Immaterieller Schaden § 253<br />
D. Der Anspruch auf Schmerzensgeld – ein Schadensersatzanspruch eigener Art<br />
I.<br />
Die Funktionen des Schmerzensgeldes<br />
1. Allgemeines. Bis auf den heutigen Tag ist umstritten, ob der Schmerzensgeldanspruch möglichst wie ein<br />
auf einen Vermögensschaden gerichteter Ersatzanspruch zu behandeln sein soll 102 oder ob <strong>für</strong> ihn eigene<br />
Regeln gelten sollen. Kristallisationspunkt der Diskussion ist eine Entscheidung des Großen Senats aus dem<br />
Jahr 1955, 103 die sich bemühte, dem Tatrichter jeden nur erdenklichen Freiraum bei Festsetzung der Höhe des<br />
Schmerzensgeldes einzuräumen, <strong>und</strong> die aus heutiger Sicht gegenüber der Vorentscheidung BGHZ 7, 223<br />
eher ein Rück- als ein Fortschritt war. Der Streit geht vornehmlich darum, ob das Schmerzensgeld bloß eine<br />
Ausgleichsfunktion oder auch eine Genugtuungsfunktion zu erfüllen hat <strong>und</strong> was man darunter versteht.<br />
2. Ausgleichsfunktion – Sphäre des Verletzten. Bei der Ausgleichsfunktion wird ausschließlich auf die<br />
Sphäre des Verletzten geblickt. Auf den Haftungsgr<strong>und</strong> kommt es nicht an. 104 Nach der auf Windscheid<br />
zurückgehenden Kompensationsformel wird darauf abgestellt, dass der Verletzte sich mit dem Schmerzensgeld<br />
Annehmlichkeiten verschaffen oder einer <strong>Lieb</strong>haberei nachgehen kann, um sich von den Schmerzen<br />
abzulenken. 105 Es genügt dabei bereits, dass er positive Gefühle durch den Besitz einer bestimmten Geldsumme<br />
hat. 106 Das Schmerzensgeld soll Ausgleich <strong>für</strong> Lebenshemmungen nicht vermögensrechtlicher<br />
Art sein. 107 Es kommt nicht darauf an, ob <strong>und</strong> wo<strong>für</strong> der Verletzte das Geld ausgibt. 108<br />
Die Ausgleichsfunktion wurde in letzter Zeit dahin gehend erweitert, dass es nicht darauf ankommt, ob der<br />
Verletzte seine Beeinträchtigung bzw deren Erleichterung durch die Zahlung eines Geldbetrags empfinden<br />
kann. 109 Daher ist die Entscheidung des AG Bochum 110 unzutreffend, in der der Zuspruch an ein Kleinkind<br />
mit der Begründung versagt wurde, dass dieses nicht schmerzensgeldfähig sei, weil es einen unmittelbaren<br />
Bezug zwischen der Geldleistung <strong>und</strong> der dadurch nachgeholten Lebensfreude nicht herzustellen vermag.<br />
Ob der Verletzte das intellektuell wahrnehmen kann, darauf kann es mE nicht ankommen. Fest steht, dass <strong>für</strong><br />
ein Kleinkind der Betrag in der Weise widmungsgemäß verwendet werden kann, dass man ihm wegen der<br />
Unlustgefühle in einer Lebensphase (hier Schlafstörungen <strong>und</strong> Angstzustände nach Verletzungen infolge eines<br />
Aufpralls nach einem Verkehrsunfall) Annehmlichkeiten in der Folge zuteil werden lassen kann. Viel problematischer<br />
ist hingegen, wenn das nicht möglich ist, weil der Verletzte empfindungsunfähig ist <strong>und</strong> dieser<br />
Zustand sich auch nicht mehr ändert.<br />
3. Genugtuungsfunktion – Bemessungsdeterminanten aus der Sphäre des Ersatzpflichtigen. Im<br />
Rahmen der Genugtuung kommt es darauf an, dass der Schädiger durch die Schmerzensgeldzahlung 111 eine<br />
Sühneleistung erbringt <strong>für</strong> das, was er dem Verletzten angetan hat. 112 Sie soll die Verbitterung des Verletzten<br />
besänftigen. 113 Nach diesem Konzept ist die Höhe des Schmerzensgeldes abhängig vom Verschuldensvorwurf<br />
114 <strong>und</strong> der Leistungsfähigkeit des Schädigers. 115 Letztlich geht es um pönale Elemente, die vergleichbar<br />
sind mit denen beim staatlichen Strafanspruch. Solche pönalen Aspekte sind dem Haftungsrecht allerdings<br />
fremd, so dass die Genugtuungsfunktion immer mehr in die Kritik geraten ist. 116 Hinzu kommt, dass die<br />
Genugtuung ihre eigentliche Funktion schon gar nicht erfüllen kann, wenn <strong>für</strong> den Schädiger ein Haftpflichtversicherer<br />
einstandspflichtig ist, wie das typischerweise bei Straßenverkehrsunfällen 117 <strong>und</strong> bei der Arzthaf-<br />
102 So zu <strong>Recht</strong> Jaeger/Luckey, Rn 44, 111; erfrischend<br />
mutig Manfred Lepa, in: FS G. Müller (2009) S. 113 ff<br />
unter Hinweis auf das seit der Entscheidung BGHZ 18,<br />
149 veränderte Umfeld.<br />
103 BGHZ 18, 149 = NJW 1955, 1675.<br />
104 Geigel/Pardey, Kap. 7 Rn 35.<br />
105 Nehlsen-van Stryk, JZ 1987, 119, 125; Jaeger/<br />
Luckey, Rn 910.<br />
106 Jaeger/Luckey, Rn 910.<br />
107 Wussow/Kürschner, Kap. 54 Rn 19.<br />
108 BGH NJW 1991, 1544; Bamberger/Roth/Spindler (18.<br />
Edition), § 253 Rn 46; Geigel/Pardey, Kap. 7 Rn 24;<br />
A. Diederichsen, Homburger Tage 2004, S. 7, 10: Es<br />
wird ihm ein nicht selbst gewählter Lebensvollzug aufgedrängt.<br />
109 Jaeger/Luckey, Rn 912.<br />
110 AG Bochum VersR 1994, 1483; kritisch dazu Diehl,<br />
zfs 1994, 165; Küppersbusch, Rn 293, Fn 99; Wussow/<br />
Kürschner, Kap. 54 Rn 23.<br />
111 Vgl OLG Frankfurt/M. NJW-RR 1998, 1323: keine<br />
Verminderung des Schmerzensgeldanspruchs, wenn<br />
der Täter nach einer vorsätzlichen Körperverletzung<br />
von Fre<strong>und</strong>en des Opfers ohne dessen Beteiligung verprügelt<br />
wird.<br />
112 BGHZ 18, 149 = NJW 1955, 1675.<br />
113 Jaeger/Luckey, Rn 916.<br />
114 OLG Köln NJW-RR 2007, 174: Angriff aus nichtigem<br />
Anlass mit großer Brutalität gegenüber einem deutlich<br />
jüngeren Opfer.<br />
115 So LG Dresden VersR 2011, 641 mit zu <strong>Recht</strong> krit.<br />
Anm. v. Teumer/Stamm: Kürzung des Schmerzensgeldanspruchs<br />
gegen einen nicht haftpflichtversicherten<br />
wenig leistungsfähigen Schädiger.<br />
116 MüKo/Oetker, § 253 Rn 12 f; Bamberger/Roth/Spindler<br />
(18. Edition), § 253 Rn 16.<br />
117 OLG Brandenburg DAR 2008, 520 = jurisPR-VerkR<br />
4/2008 Anm. 2 (Jahnke); vgl aber KG NZV 2004, 473:<br />
Zubilligung eines höheren Schmerzensgeldgeldes als<br />
das LG bei einem Verkehrsunfall unter Hinweis auf die<br />
Genugtuung.<br />
Huber 175<br />
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