Dauner-Lieb - Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Wirtschaftsrecht und ...
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§ 253 Abschnitt 1 | Inhalt der Schuldverhältnisse<br />
Gutachten kommt somit keine abschließende Bedeutung zu, 220 was auch Auswirkungen hat auf den Umsatz<br />
der solche Gutachten erstellenden technischen Sachverständigen. Letztlich kommt es auf das medizinische<br />
Gutachten an. 221 Je nach Beschwerden ist das eines Orthopäden, 222 Neurologen, Neurochirurgen, HNO-Arztes<br />
oder Psychiaters heranzuziehen. Umstritten ist die Verwertbarkeit von Erkenntnissen der Neurootologie. 223<br />
Umstritten ist auch, ob prima facie anzunehmen ist, dass bei einer Kollisionsgeschwindigkeit von mindestens<br />
15 km/h zu vermuten ist, dass es zu einer Verletzung gekommen ist. 224<br />
cc) Stellenwert anderer Beweismittel. Die Gutachten von gerichtlichen Sachverständigen haben einen<br />
höheren Stellenwert als die Atteste der behandelnden Ärzte, 225 selbst wenn sie auf eigenen Feststellungen<br />
beruhen 226 <strong>und</strong> sich nicht darin erschöpfen, die vom Patienten geschilderten Beschwerden zu wiederholen.<br />
227 Die Gutachten sollen eine Verletzung sowie deren Verursachung durch einen Unfall prüfen, während<br />
die behandelnden Ärzte in erster Linie therapeutisch tätig sind. 228 Der BGH 229 hat aber in einem Fall, in dem<br />
der Ersatzpflichtige keinen Beweisantrag auf Erstellung eines medizinischen Gutachtens gestellt hat, 230<br />
Schmerzensgeld auch aufgr<strong>und</strong> eines ärztlichen Attests sowie einer Zeugenaussage zuerkannt. Selbst die Parteiaussage<br />
des Verletzten selbst darf nicht als unbedeutend „marginalisiert“ werden. 231<br />
dd) Psychische Schäden. Ein ähnliches Phänomen wie beim – schwierigen – Nachweis einer Körperverletzung<br />
bei einer HWS-Distorsion stellt sich bei psychischen Schäden. Da 25 % der deutschen Bevölkerung<br />
Beschwerden haben, die eine seelische Ursache haben, 232 spielt dieses Phänomen auch beim Schmerzensgeld<br />
eine zunehmend große Rolle. Das Zauberwort ist die posttraumatische Belastungsstörung. 233 Wie bei einer<br />
Körperverletzung gilt es zwischen Primärverletzung <strong>und</strong> Folgeschaden zu unterscheiden, <strong>und</strong> zwar wegen des<br />
Beweismaßes, der Erheblichkeitsschwelle <strong>und</strong> der Vorhersehbarkeit. Wie bei der Körperverletzung gilt <strong>für</strong><br />
den Nachweis der Primärschädigung das strengere Beweismaß des § 286 ZPO. Ein Zuspruch von Schmerzensgeld<br />
setzt voraus, dass es sich um eine pathologisch fassbare psychische Störung handelt. 234 Der Nachweis<br />
ist insoweit noch schwieriger, weil es – im Unterscheid zu einer Körperverletzung – jedenfalls keine bildgebende<br />
Methode gibt. 235 Die <strong>Recht</strong>sprechung ist deshalb restriktiv. 236 Sofern freilich ein Primärschaden gegeben<br />
ist, ist der seelische Folgeschaden im Rahmen der Bemessung des Schmerzensgeldes zu berücksichtigen,<br />
ohne dass es darauf ankommt, ob die seelischen Beschwerden <strong>für</strong> sich Krankheitswert haben oder bloß eine<br />
nicht ersatzfähige Befindlichkeitsstörung gegeben ist. 237 Bei einer Primärverletzung soll zudem Voraussetzung<br />
sein, dass diese <strong>für</strong> den Schädiger vorhersehbar war, 238 während es darauf im Rahmen eines Folgescha-<br />
220 BGH NJW-RR 2008, 1380 = r+s 2008, 395 (Lemcke)<br />
= SVR 2009, 141 (Luckey); <strong>für</strong> dessen Entbehrlichkeit<br />
bei Nachweis einer Primärverletzung Jaeger, VRR<br />
2008, 342, 343; <strong>für</strong> dessen Entbehrlichkeit im Regelfall<br />
Luckey, SVR 2009, 141, 143. AA Burmann/Heß, NZV<br />
2008, 481, 483: Sowohl biomechanisches als auch<br />
medizinisches erforderlich, weil Übergehen eines<br />
Beweismittels zur Versagung des rechtlichen Gehörs<br />
führen würde.<br />
221 BGH NJW 2008, 2845 = r+s 2008 397 (Lemcke) = VRR<br />
2008, 342 (Jaeger): Biomechanisches Gutachten entbehrlich,<br />
denn Sachverständiger der Biomechanik hat<br />
trotz einschlägiger Promotion keine medizinische<br />
Fachkompetenz.<br />
222 Dazu KG NZV 2005, 470: Aus orthopädischer Sicht<br />
mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit<br />
Unfall als Ursache <strong>für</strong> die Beschwerden auszuschließen;<br />
fraglich ist freilich, ob es sich um ausschließlich<br />
orthopädische Beschwerden handelte.<br />
223 Für deren Heranziehung Forster, NZV 2004, 314 ff;<br />
Jaeger, ZAP 2008, 1305, 1320; Eschelbach/Geipel,<br />
NZV 2010, 481, 486; ablehnend OLG Hamm NZV<br />
2003, 331; OLG München r+s 2006, 474; H. Lang,<br />
jurisPR-VerkR 9/2010, Anm. 2.<br />
224 Da<strong>für</strong> Luckey, SVR 2010, 174; dagegen Ernst, in: FS<br />
Eggert (2008) S. 195, 199.<br />
225 BGH NJW-RR 2008, 1380 = r+s 2008, 395 (Lemcke)<br />
= SVR 2009, 141 (Luckey); aA OLG Bamberg NZV<br />
2001, 470: Maßgeblich Äußerung des erstbehandelnden<br />
Arztes.<br />
226 KG NZV 2005, 469: Nach Einholung eines biomechanischen<br />
<strong>und</strong> medizinischen Gutachtens, die Kausalität<br />
verneinen, ist die Vernehmung des behandelnden Arztes<br />
nur geboten, wenn vorgetragen wurde, dass er aus<br />
182 Huber<br />
eigener Wahrnehmung Angaben zu Ursachen der<br />
Beschwerden machen kann.<br />
227 Zum unterschiedlichen Gewicht im Rahmen der<br />
Beweiswürdigung Jaeger, VRR 2008, 342, 344.<br />
228 OLG Jena r+s 2009, 170; Jaeger, ZAP 2008, 1305,<br />
1318; Burmann/Heß, NZV 2008, 481, 482.<br />
229 BGH NJW 2008, 2845 = r+s 2008 397 (Lemcke) = VRR<br />
2008, 342 (Jaeger).<br />
230 Auf diese prozessuale Besonderheit hinweisend, dass<br />
dieses Unterlassen im Revisionsverfahren nicht mehr<br />
saniert werden konnte, Lemcke, r+s 2008, 399; Nugel,<br />
NJW-Spezial 2010, 329, 330.<br />
231 Jaeger, VRR 2008, 342, 344. Aufschlussreich OLG<br />
Schleswig NJW-RR 2007, 171: Spezialsenat <strong>für</strong> Verkehrsunfallsachen<br />
entschied entgegen dem negativen<br />
Sachverständigengutachten unter Hinweis auf die Aussage<br />
der Ehefrau <strong>und</strong> das ärztliche Attest.<br />
232 Jaeger, ZAP 2008, 1305, 1321. Vgl auch Eggert, VA<br />
2005, 207: zweithäufigste Krankheit; Eilers, zfs 2009,<br />
248: 10 % der gesamten Krankheitskosten.<br />
233 Burmann/Heß, NZV 2008, 481, 484: Eine solche wird<br />
sehr schnell diagnostiziert.<br />
234 Born/Rudolf/Becke, NZV 2008, 1, 2; Jaeger, ZAP<br />
2008, 1305, 1321. Beispiele bei Halm/Staab, DAR<br />
2009, 677, 679; Staab, VersR 2003, 1223 ff.<br />
235 G. Müller, in: FS 25-jähriges Bestehen Arbeitsgemeinschaft<br />
Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltvereins<br />
(2005) S. 169, 182; Eilers, zfs 2009, 248, 253.<br />
236 Eggert, VA 2005, 207, 209: Strenge, oft zu strenge<br />
Anforderungen an die Darlegung.<br />
237 Eilers, zfs 2009, 248, 249; Burmann/Heß, NZV 2008,<br />
481, 484; OLG Karlsruhe NZV 2010, 26.<br />
238 Stöhr, 46. VGT (2008), 122.