Dauner-Lieb - Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Wirtschaftsrecht und ...
Dauner-Lieb - Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Wirtschaftsrecht und ...
Dauner-Lieb - Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Wirtschaftsrecht und ...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
67<br />
§ 253 Abschnitt 1 | Inhalt der Schuldverhältnisse<br />
ersatzfähig, weil sich insoweit das allgemeine Lebensrisiko verwirkliche. 368 Jeglicher Ersatz wurde versagt,<br />
wenn es bei einer Ehefrau nach Benachrichtigung vom Tod des Ehemannes zu Schweißausbrüchen, beschleunigtem<br />
Puls <strong>und</strong> zitternden Beinen kam 369 bzw wenn nach Ertrinken des neunjährigen Kindes bei den Eltern<br />
eine schwere reaktiv-depressive Verstimmung eintrat, die durch Zittern, Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen <strong>und</strong><br />
schwere Träume bzw ein depressives Syndrom mit multiplen physischen <strong>und</strong> somatischen Störungen gekennzeichnet<br />
war. 370 Auch wurde es als Begehren ohne ausreichende Substanz betrachtet, wenn die Mutter einen<br />
Nervenzusammenbruch erlitt <strong>und</strong> ein Vierteljahr arbeitsunfähig war. 371 Voraussetzung ist eine medizinisch<br />
fassbare pathologische Veränderung 372 von einiger Dauer 373 <strong>und</strong> erheblichen Ausmaßes. 374 Einen solchen<br />
Nachweis kann der betroffene Angehörige umso eher führen, wenn er sich in ärztliche Behandlung begeben<br />
hat 375 bzw eine Beeinträchtigung im Berufsleben nachweisbar ist. 376 Auch insoweit ist folgendes Dilemma zu<br />
konstatieren: Aus psychiatrischer Sicht sind Depressionen 6 Monate nach dem Tod als normale Trauer anzusehen;<br />
Jaeger 377 verweist zutreffend darauf, dass bis in die Zeit nach dem 2. Weltkrieg sogar ein Trauerjahr<br />
üblich war. Wenn freilich der Zweitgeschädigte sich nicht im unmittelbaren zeitlichen Naheverhältnis zum<br />
Unfallereignis in (fach-)ärztliche bzw sogar stationäre Behandlung begibt, wird ihm der Nachweis eines<br />
ersatzfähigen psychischen Schadens schwerfallen. Der Hausarzt wird dabei häufig als Beweismittel von den<br />
Gerichten nicht akzeptiert. 378 Je häufiger er freilich zeitnah zum Unfallereignis zum Arzt oder Psychiater<br />
pilgert 379 <strong>und</strong> je mehr Psychopharmaka er schluckt, umso eher wird eine Beweisführung in Bezug auf den<br />
ersatzfähigen Schockschaden gelingen. 380 Viel liegt dabei an der Verwendung bestimmter Schlüsselwörter<br />
durch den medizinischen Sachverständigen. Es dürfte so sein, dass ein <strong>und</strong> dasselbe Phänomen als Unbill bzw<br />
Unbehagen oder posttraumatische Belastungsstörung, vulgo Psychose oder Neurose, 381 sich umschreiben<br />
lässt. Auf der Strecke bleibt dabei häufig der Geschädigte aus der Unterschicht, 382 der bei solchen Schicksalsschlägen<br />
alle Hände damit zu tun hat, da<strong>für</strong> zu sorgen, dass das Leben weitergeht, 383 während der aus der<br />
Oberschicht sich in seinen seelischen Leiden weidet <strong>und</strong> das mithilfe aller möglichen seelischen Wellnesseinrichtungen<br />
auch noch zelebriert. 384 Die Ersatzfähigkeit daran auszurichten, erscheint von überschaubarer<br />
materieller Gerechtigkeit.<br />
4. Personenkreis: nahe Angehörige. Verlangt wird eine personale Sonderbeziehung zwischen Erst- <strong>und</strong><br />
Zweitgeschädigtem. 385 Jedenfalls einbezogen ist auch die Leibesfrucht der Zweitgeschädigten. 386 Die Grenzen<br />
der ersatzberechtigten Angehörigen sind aber nicht exakt abgesteckt. Ein Anhaltspunkt könnten mE die Maßstäbe<br />
sein, die bei den Besuchskosten im Rahmen der Heilungskosten sowie beim Haftungsprivileg von Familienangehörigen<br />
gegenüber Regressansprüchen des Privatversicherers (§ 86 Abs. 3 VVG) bzw Sozialversicherungsträgers<br />
(§ 116 Abs. 6 SGB X) gelten. 387 Es muss sich somit um enge Bezugspersonen im Rahmen<br />
368 OLG Hamm VersR 1998, 730; Bamberger/Roth/<br />
Spindler, § 253 Rn 12; Wussow/Kürschner, Kap. 54<br />
Rn 10.<br />
369 OLG Hamm OLGR 2002, 169.<br />
370 OLG Koblenz NJW-RR 2001, 318.<br />
371 OLG Celle OLGR 2007, 548.<br />
372 Geigel/Pardey, Kap. 7 Rn 16.<br />
373 OLG Frankfurt/M. VersR 1979, 578; AG Saarlouis SP<br />
1997, 460; Küppersbusch, Rn 304.<br />
374 OLG Düsseldorf NJW-RR 1996, 214: verneint bei<br />
Depressionen, Verzweiflung <strong>und</strong> andauernder Leistungsminderung;<br />
kritisch zu diesen strengen Anforderungen<br />
Däubler NJW 1999, 1611, 1612; Jaeger/<br />
Luckey, Rn 838.<br />
375 Jaeger/Luckey, Rn 860; OLG Oldenburg NJW-RR<br />
1999, 820: stationärer Krankenhausaufenthalt wegen<br />
akuter Suizidgefahr nach Tötung der 17-jährigen<br />
Adoptivtochter, der einzigen Bezugsperson im Haushalt<br />
nach Vorversterben der Ehefrau; abgelehnt hingegen<br />
von OLG Hamm VersR 1998, 730: Ehefrau wurde<br />
diesbezüglich nicht besonders ärztlich behandelt; ähnlich<br />
LG Freiburg VersR 1997, 504.<br />
376 OLG Oldenburg NJW-RR 1999, 820: Versetzung eines<br />
Bauführers der deutschen Telekom in den Innendienst.<br />
377 VRR 2005, 10, 12.<br />
378 OLG Naumburg NJW-RR 2005, 900 = VRR 2005,<br />
268; kritisch zu <strong>Recht</strong> Jaeger, VRR 2005, 269.<br />
379 Prototypisch OLG Köln OLGR 2007, 363: Kaum eine<br />
mögliche in Betracht kommende Behandlungsmöglichkeit<br />
ausgelassen.<br />
190 Huber<br />
380 Angemessen hingegen OLG Koblenz NJW-RR 2005,<br />
677: Behauptung einer posttraumatischen Belastungsstörung,<br />
ausreichend, wenn Richtsymptome <strong>für</strong> psychische<br />
Erkrankung vorgetragen werden.<br />
381 Klinger, NZV 2005, 290; noch eloquenter die Ausdruckweise<br />
in OLG Köln OLGR 2007, 363: „Dekompensation<br />
<strong>und</strong> Depression mit psychotischen Symptomen“.<br />
382 OLG Naumburg NJW-RR 2005, 900 = VRR 2005, 268<br />
(Jaeger): Sohn wurde durch <strong>Recht</strong>sradikale zusammengeschlagen;<br />
er hat sich bis zur Mutter geschleppt<br />
<strong>und</strong> ist wenig später im Krankenhaus „verendet“; keine<br />
pathologisch fassbare Ges<strong>und</strong>heitsbeeinträchtigung<br />
bei der Mutter feststellbar, bloß Zeugnis des Hausarztes;<br />
Fehlen der Darlegung der Symptome sowie des<br />
Ausmaßes einer etwaigen Behandlung nebst Medikation.<br />
383 Naumburg NJW-RR 2005, 900 = VRR 2005, 268<br />
(Jaeger): Begehren, mit dem Prozesskostenhilfe<br />
begehrt wird.<br />
384 OLG Köln OLGR 2007, 363: Anspruch der Witwe<br />
gegen Reiseveranstalter, weil betrunkener Ehemann<br />
über die unzureichend dimensionierte Brüstung des<br />
Balkons in die Tiefe gestürzt ist <strong>und</strong> das nicht überlebt<br />
hat.<br />
385 Geigel/Pardey, Kap. 7 Rn 16.<br />
386 BGHZ 93, 351 = NJW 1985, 1390.<br />
387 Möglicherweise enger Steffen, in: FS 25-jähriges<br />
Bestehen Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des<br />
Deutschen Anwaltvereins (2005) S. 145, 150: Vergleichbarkeit<br />
mit Eltern oder Eltern-Kind-Beziehung.