medizin&technik 02.2019
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■ [ FOKUS FORSCHUNG ]<br />
Biegsam wie ein<br />
Elefantenrüssel<br />
Künstliche Tentakel | Forscher entwickeln Roboterarme,<br />
biegsam wie Elefantenrüssel: für große Greifer und<br />
kleine Endoskope.<br />
Die Doktoranden Dominik Scholtes, Rouven Britz und Yannik<br />
Goergen (von links) mit Prototypen der biegsamen Roboterarme<br />
Bild: Oliver Dietze<br />
Sie schlängeln sich präzise um Windungen und Ecken, bewegen<br />
sich frei in alle Richtungen: Eine Arbeitsgruppe an der<br />
Universität des Saarlandes arbeitet gemeinsam mit Forschern<br />
der TU Darmstadt an dünnen, präzise steuerbaren künstlichen<br />
Tentakeln. Diese könnten in Zukunft als Führungsdraht bei<br />
Herzoperationen oder als Endoskop bei Magen- und Darmspiegelungen<br />
zum Einsatz kommen. Dafür statten die Forscher die<br />
Tentakel mit zusätzlichen Funktionen wie einer versteifbaren<br />
Spitze für Stoßbewegungen oder einem Greifer aus. Auch große<br />
Roboterrüssel sind möglich – die Technik ist skalierbar.<br />
Dreh- und Angelpunkt sind die künstlichen Muskeln. Sie bestehen<br />
aus haarfeinen Drähten aus Nickel-Titan. „Die Legierung Nickel-Titan<br />
besitzt ein Formgedächtnis“, sagt Prof. Stefan Seelecke.<br />
Fließt Strom durch einen solchen Draht, erwärmt er sich,<br />
und seine Kristallstruktur wandelt sich so um, dass er sich verkürzt.<br />
Ohne Strom kühlt er ab und wird wieder lang.<br />
Das Saarbrücker Team bündelt die Drähte wie Muskelfasern.<br />
Mehrere Drähte geben mehr Wärme ab, so erreicht man schnelle<br />
Kontraktionen. „Die Drähte haben die höchste Energiedichte aller<br />
bekannten Antriebsmechanismen: Auf kleinem Raum entwickeln<br />
sie hohe Zugkraft“, erläutert Seelecke. Bei den Roboterarmen<br />
werden die Drahtstränge als Beuge- und Streckmuskulatur<br />
verbunden, dies bringt eine fließende Bewegung hervor.<br />
Die Tentakel ist hochpräzise steuerbar und kann als Werkzeug<br />
mehrere Funktionen erfüllen. Die Forscher modellieren und programmieren<br />
hierzu Bewegungsmuster auf einen Halbleiterchip.<br />
Das System kommt dabei ohne Sensoren aus: Die Drähte selbst<br />
liefern alle nötigen Daten. Die Roboterarme arbeiten auch unabhängig<br />
von schwerem Gerät im Hintergrund. Alles, was die<br />
Drähte benötigen, ist Strom.<br />
www.uni-saarland.de<br />
HTWK-Innovationen<br />
Mit einem Lernspiel trainieren angehende Mediziner<br />
eine komplette Bandscheiben-OP<br />
Interoperabilität<br />
Neues Projekt zur<br />
Gerätevernetzung im OP<br />
Wissenschaftler der Hochschule für Technik,<br />
Wirtschaft und Kultur Leipzig<br />
(HTWK Leipzig) haben Neuheiten für die<br />
chirurgische Aus- und Weiterbildung und<br />
die Hand-Rehabilitation entwickelt.<br />
Mit dem Lernspiel „Surme“ können Ärzte<br />
sowohl erste chirurgische Handgriffe<br />
üben als auch an einem optisch wie haptisch<br />
realistischen Simulationssystem eine<br />
Bandscheibenoperation trainieren. Ob<br />
Mit dem Lernspiel „Surme“ können Ärzte<br />
erste chirurgische Handgriffe sowie eine<br />
komplette Bandscheibenoperation üben<br />
Bild: Swen Reichhold<br />
die Operation erfolgreich war, zeigt die<br />
Auswertung auf der integrierten Lernplattform.<br />
Neben der HTWK Leipzig waren<br />
an der Entwicklung die Schön-Klinik<br />
München, das IT-Start-up Code Craft aus<br />
Leipzig und MRC Systems aus Heidelberg<br />
beteiligt. Die Ergebnisse von „Surme“ sollen<br />
bald in die Praxis überführt werden.<br />
HTWK-Professor Werner Korb hat zwei<br />
Unternehmen gegründet: Die Realists<br />
Training Technologies GmbH bietet chirurgische<br />
Trainings an Simulatoren an,<br />
die Vocationeers GmbH konzentriert sich<br />
auf digitale Lernplattformen.<br />
Das Gründerteam „Recovics“ der HTWK<br />
Leipzig arbeitet an einer digitalen Lösung<br />
zur Unterstützung der Hand-Therapie.<br />
Ein Fünf-Finger-Handschuh-Exoskelett<br />
mit innovativer Mechanik und Sensorik<br />
soll Patienten mit Bewegungseinschränkungen<br />
der Hand eine flexible und individuelle<br />
Möglichkeit zur Hand-Selbstrehabilitation<br />
geben.<br />
www.htwk-leipzig.de<br />
Die Vernetzung von softwaregesteuerten<br />
Medizingeräten unterschiedlicher Hersteller<br />
im modernen OP ist eine Herausforderung.<br />
Ziel des Projekts „Pocspec –<br />
Modular Specialisations for Point-of-Care<br />
Medical Devices“ ist es, ein höheres Niveau<br />
und höhere Qualität der Interoperabilität<br />
zu erreichen und die Austauschbarkeit<br />
von Medizingeräten unterschiedlicher<br />
Hersteller im laufenden Betrieb zu<br />
ermöglichen. Dazu werden Ergänzungen<br />
zur Normenfamilie ISO/IEEE 11073 entwickelt,<br />
die für bestimmte Gerätekategorien<br />
die Vernetzungsanforderungen genau<br />
festlegen, so dass Geräte unterschiedlicher<br />
Hersteller über das Netzwerk einheitlich<br />
überwacht und angesteuert werden<br />
können. Dies soll beispielhaft für<br />
zwei besonders komplexe Gerätekategorien<br />
umgesetzt werden: die Endoskopie<br />
und Hochfrequenzchirurgie.<br />
Das Projekt wird von Offis – Institut für<br />
Informatik in Oldenburg koordiniert.<br />
www.pocspec.de<br />
56 medizin&<strong>technik</strong> 02/2019