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30<br />
Recht<br />
& Gesetz<br />
Dieses Mal steht ein Thema an, das<br />
für Gerichtsverfahren von Motorradfahrern<br />
sehr interessant ist. Es geht um<br />
die Frage der Befangenheit von Richtern.<br />
Ein Richter muss grundsätzlich der zu<br />
beurteilenden Rechtssache und allen<br />
Beteiligten neutral gegenüberstehen.<br />
Dies gilt besonders im Strafverfahren,<br />
weil ein Richter, der sich schon vor<br />
einem Prozess sein Urteil überlegt hat,<br />
also vielleicht, dass er den Angeklagten<br />
verurteilen will und zu welcher Strafe, die<br />
Verhandlung nicht „frei“ und unabhängig<br />
führen kann. Die Vorschriften über die<br />
Befangenheit von Richtern sind deshalb<br />
sehr wichtig.<br />
Nach § 24 Strafprozessordnung kann<br />
ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit<br />
abgelehnt werden. Dem Gesetzgeber<br />
war dies so wichtig, dass das<br />
Mitwirken eines abgelehnten Richters<br />
am Urteil, gemäß § 338 Nr. 3 Strafprozessordnung,<br />
einen absoluten Revisionsgrund<br />
darstellt. Für die Aufhebung eines<br />
Urteils braucht es dann keiner weiteren<br />
Begründung, es ist schon aus diesem<br />
Grund allein „als auf einer Verletzung<br />
des Gesetzes anzusehen“ (so steht es<br />
im Gesetz). Die Befangenheit kann somit<br />
eine „schwere Keule“ sein.<br />
Aber was bedeutet die „Besorgnis der<br />
Befangenheit“? Zunächst ist zu beachten,<br />
dass der Richter nicht befangen sein<br />
muss, es genügt, wenn die „Besorgnis“<br />
besteht. Das meint, es muss nur ein<br />
Grund vorliegen, „der geeignet ist, Misstrauen<br />
gegen die Unparteilichkeit eines<br />
Richters zu rechtfertigen“ (und auch das<br />
steht so im Gesetz). Derjenige, der einen<br />
Richter ablehnen will, muss bei verständiger<br />
Würdigung des Sachverhalts Grund<br />
zu der Annahme haben, dass der Richter<br />
ihm gegenüber nicht unvoreingenommen<br />
ist. Ob der Richter tatsächlich befangen<br />
ist, muss nicht nachgewiesen werden,<br />
insoweit reicht ein begründeter Verdacht.<br />
Es muss nur der Eindruck bestehen, der<br />
Richter habe sich schon festgelegt.<br />
Aber was ist nun diese „Befangenheit“?<br />
Es gibt – und das gar nicht so<br />
selten – Fälle, in denen der Richter vor<br />
der Verhandlung aus Gründen der Organisation<br />
Gespräche mit einem Staatsanwalt<br />
Rechtstipp<br />
Auch so etwas gibt es: Befangene Richter<br />
Von Rechtsanwalt Jan Schweers, Bremen<br />
Telefon 0421 / 696 44 880 - www.janschweers.de<br />
oder einem Verteidiger führt (z. B. zu<br />
Terminabsprachen), bei denen er schon<br />
vorher zum Inhalt des Verfahrens seine<br />
Meinung sagt („Im Vertrauen, ich glaube<br />
ihrem Mandanten kein Wort!“) oder die<br />
Befragung eines Zeugen während der<br />
Verhandlung klar zeigt, dass er Antworten<br />
in einer bestimmten Richtung haben will<br />
(„Aber sagen Sie doch mal, ...“) . Hierbei<br />
sind vor allem Fälle bekannt, in denen in<br />
Verhandlungspausen Gespräche in der<br />
Kantine des Gerichts stattfanden.<br />
§<br />
In vielen Prozessen kennen sich die<br />
„professionellen“ Teilnehmer (Richter,<br />
Staatsanwalt und Verteidiger) schon länger,<br />
haben vielleicht zusammen studiert<br />
und schon mehrere Verfahren miteinander<br />
gehabt. Es kann dann immer wieder<br />
vorkommen, dass der Richter recht<br />
unvorsichtig über den Prozess „plaudert“<br />
und schon vorab seine Meinung zu der<br />
Sache preisgibt. Sei es Gedankenlosigkeit<br />
oder etwa Überforderung, jedenfalls<br />
kann hierdurch eine Befangenheit angenommen<br />
werden mit den beschriebenen<br />
möglichen Folgen der Aufhebung einer<br />
Verurteilung deswegen.<br />
Das Oberlandesgericht Hamm (Urteil<br />
vom 11.10.2018, Aktenzeichen 3 Rvs<br />
32/18) hatte einen recht interessanten<br />
Fall zu entscheiden. Der Angeklagte war<br />
wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu<br />
einer Freiheitsstrafe von drei Monaten<br />
auf Bewährung verurteilt worden. Die<br />
Berufung gegen dieses Urteil ist darauf<br />
verworfen worden. Die Vorsitzende der<br />
Berufungskammer hatte mit dem Verteidiger<br />
mehrfach telefoniert, was an sich<br />
nicht verboten ist. Bei diesen Telefonaten<br />
hatte die Richterin aber den Eindruck<br />
erweckt, sie wolle den Angeklagten zur<br />
Zurücknahme der Berufung drängen. Es<br />
wird zwar durchaus für zulässig gehalten,<br />
wenn ein Berufungsrichter einem Verteidiger<br />
rät, die Berufung wegen geringer<br />
Erfolgsaussichten zurückzunehmen.<br />
Allerdings war hier die Vorsitzende Richterin<br />
wohl zu weit gegangen und hatte<br />
sich so ausgedrückt, dass ihre Äußerung<br />
als „Warnung“ aufgefasst werden musste<br />
bzw. konnte. Sie hatte angekündigt, dass<br />
sie im Urteil erwähnen würde, dass das<br />
Berufungsgericht keine Sperrfrist verhängen<br />
könne und dieses Urteil dann von<br />
der Straßenverkehrsbehörde gelesen<br />
werden könnte.<br />
Das Oberlandesgericht Hamm<br />
befand, dass diese Mitteilung nicht auf<br />
die Erfolgsaussichten bezogen sei, sondern<br />
dem Angeklagten nach einem Urteil<br />
Schwierigkeiten bei der Wiedererlangung<br />
einer Fahrerlaubnis drohen würden. Das<br />
Gleiche wurde für die möglicherweise<br />
in Aussicht gestellte Verlängerung der<br />
Bewährungszeit und die Änderung der<br />
Bewährungsauflagen gesagt. Das Oberlandesgericht<br />
Hamm sieht hier keinen<br />
Zusammenhang mit einer sachlichen Förderung<br />
des Verfahrens. Die Vorsitzende<br />
hatte außerdem mit der Möglichkeit der<br />
Einleitung eines weiteren Verfahrens<br />
„gedroht“. Es wird vom Oberlandesgericht<br />
Hamm darauf hingewiesen, dass<br />
man zwar über die Erfolgsaussichten<br />
sprechen, dabei aber auf keinen Fall<br />
Druck ausüben dürfe.<br />
Die „Besorgnis der Befangenheit“ ist<br />
also ein recht scharfes Schwert, das ein<br />
Strafurteil ohne weiteres kippen kann.<br />
Für einen Verteidiger kann es sich also<br />
lohnen, mit dem Richter auch außerhalb<br />
der Verhandlung zu sprechen, wobei das<br />
jetzt nicht heißen soll, dass wir unsere<br />
Anwälte in diese Richtung drängen sollten.<br />
Man sollte grundsätzlich davon ausgehen,<br />
dass die Richter neutral sind. Aber wenn in<br />
einem Verfahren ein Verdacht aufkommt,<br />
dass ein Richter voreingenommen ist,<br />
sollte entsprechend reagiert werden.