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CRESCENDO 1/18 Januar-März 2018

CRESCENDO - das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Sonya Yoncheva, Paavo Järvi, Evelyn Glennie und Gauthier Capuçon.

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Interviews unter anderem mit Sonya Yoncheva, Paavo Järvi, Evelyn Glennie und Gauthier Capuçon.

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O U V E R T Ü R E<br />

Als Saxofonistin in Saudi-Arabien<br />

Ein Anruf bei Ricarda Fuss vom Arcis Saxophon Quartett,<br />

die sich als unverheiratete Frau auf eine Tournee nach Saudi-Arabien begab.<br />

FOTOS: PRIVAT<br />

Fast platzte die Tournee, weil<br />

Ricarda Fuss vom Arcis Saxophon<br />

Quartett eine alleinreisende Frau ist.<br />

crescendo: Frau Fuss, gerade kommen Sie<br />

von einer Tournee mit vier Konzerten in<br />

Saudi-Arabien zurück. Wie kam es dazu?<br />

Ricarda Fuss: Im Sommer hatten wir auf NDR<br />

Kultur einen kleinen Radiobeitrag. Der deutsche<br />

Generalkonsul in Tschidda stand – gerade<br />

auf Deutschlandbesuch – auf der Autobahn im<br />

Stau, hörte uns und war so begeistert, dass er<br />

uns sofort formlos auf Facebook anschrieb und<br />

zu Konzerten in Saudi-Arabien einlud.<br />

Wie aufwendig war es mit den Papieren?<br />

Für den Konsul war es ein Riesenaufwand, er<br />

musste mehrere Instanzen durchlaufen. Weil<br />

ich eine Frau und unverheiratet bin und somit<br />

keinen männlichen Vormund habe. Tourismus-Visa<br />

gibt es nicht. Wir mussten zur<br />

Botschaft in Berlin und haben erst wenige<br />

Stunden vorher Bescheid bekommen, dass es<br />

klappt. Fast wäre es schiefgegangen!<br />

Wie war es vor Ort?<br />

Am Flughafen wurde mir eine Abaya gebracht, ein bodenlanges islamisches<br />

Gewand. Das musste ich im öffentlichen Raum anziehen.<br />

Ein Kopftuch musste ich nicht tragen, das ist seit circa einem Jahr<br />

keine Pflicht mehr. Das Hotel- und Konzertpublikum war sehr international.<br />

Aber wir sind viel spazieren gegangen. Da fielen wir natürlich<br />

auf, da etwa 95 Prozent der Frauen vollverschleiert sind. Allein<br />

herumzulaufen hätte ich mich nicht getraut.<br />

Wissen Sie die Freiheit in Europa jetzt mehr zu schätzen?<br />

Nach einer Woche war ich total froh, wieder hier zu sein und meine<br />

Freiheit zu genießen. Obwohl ich das mit<br />

der Abaya anfangs nicht so schlimm fand, hat<br />

es mich irgendwann doch gestresst, immer<br />

gleich auszusehen und bei 30 Grad darunter<br />

zu schwitzen. Sich selbst morgens auszusuchen,<br />

was man trägt, ist Ausdruck der eigenen<br />

Persönlichkeit! Im Hotel war ein sehr schöner<br />

Pool- und Spa-Bereich – nur für Männer. Während<br />

die anderen am Pool lagen, musste ich im<br />

Hotelzimmer sitzen! Dennoch war es eine tolle<br />

Erfahrung, diese Kultur kennenzulernen.<br />

Schon in Deutschland sind Sie als Saxofonistin<br />

die Minderheit …<br />

Mir selbst fällt das gar nicht so auf. Wobei nach<br />

Konzerten regelmäßig Zuhörer – meistens ältere<br />

Herrschaften – kommen und fragen, wie<br />

ich als Frau die Kraft habe, so ins Saxofon zu<br />

blasen, was mit Geschlecht und Körperbau gar<br />

nichts zu tun hat. Aber in den Köpfen der Leute<br />

sind Blasinstrumente eher was für Männer.<br />

Auch als Ensemble, das Saxofon mehr in der klassischen Musik<br />

etablieren will, sind Sie Teil einer Minderheit …<br />

Ja, es gibt nur sehr wenige klassische Werke für Saxofonquartett.<br />

Nach wie vor wissen die Leute nicht, was sie in unseren Konzerten<br />

erwartet. Sie kommen mit falschen Erwartungen – Saxofon verbinden<br />

die meisten hauptsächlich mit Jazz – oder gar keinen. In jedem<br />

Fall ist es immer eine Überraschung … und wir haben nach dem<br />

Konzert noch nie eine negative Stimme dazu gehört! ■<br />

Infos zum Arcis Saxophon Quartett unter www.arcissaxophonquartett.de<br />

HINTER DER BÜHNE<br />

Die Welt von crescendo lebt von den Künstlern und Mitarbeitern,<br />

die sie mit Leben füllen. Deshalb der gewohnte Blick hinter die Kulissen der Produktion.<br />

GUIDO KRAWINKEL<br />

Guido Krawinkel schreibt über alles, was mit Musik zu tun hat. Dem Studium der<br />

Musikwissenschaften in Bonn folgten Tätigkeiten in der Tonträgerbranche, beim Radio<br />

und im Verlagswesen sowie eine Ausbildung zum nebenberuflichen Kirchenmusiker.<br />

Als freier Journalist arbeitet Guido Krawinkel für Zeitungen, Zeitschriften und<br />

Konzerthäuser, schreibt Rezensionen, CD-Booklets und Programmeinführungen und<br />

ist Mitglied in der Jury des Preises der Deutschen Schallplattenkritik. Der begeisterte<br />

Chorsänger hält es mit Loriot: Ein Leben ohne Chor ist möglich, aber sinnlos.<br />

DOROTHEA WALCHSHÄUSL<br />

Dorothea Walchshäusl ist Musikjournalistin und promovierte Politologin. Sie lebt und<br />

arbeitet in Passau. Den Mensch im Blick, die Musik im Ohr und das Gefühl in den<br />

Fingerspitzen, fasziniert die freie Autorin all das, was die Menschen im Kleinen wie im<br />

Großen bewegt und berührt.<br />

Für crescendo schreibt sie seit 2014 und erforscht in ihren Porträts und Reportagen mit<br />

Leidenschaft, warum sich Menschen mit Haut und Haar der Musik verschreiben.<br />

10 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>18</strong>

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