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CRESCENDO 1/18 Januar-März 2018

CRESCENDO - das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Sonya Yoncheva, Paavo Järvi, Evelyn Glennie und Gauthier Capuçon.

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Interviews unter anderem mit Sonya Yoncheva, Paavo Järvi, Evelyn Glennie und Gauthier Capuçon.

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K Ü N S T L E R<br />

Proben. Und müssen zudem in Social Media, auf Twitter und<br />

Facebook präsent sein, wir haben PR-Verpflichtungen. Unser<br />

Leben ist kompliziert, und man muss tough, robust und gesund<br />

sein, um durchzuhalten, denn zugleich ist man sehr transparent<br />

geworden. Den Fans entgeht kein Detail aus deinem Leben. Man<br />

muss es also unbedingt wollen, und – sorry, das ist jetzt nicht<br />

jugendfrei – man muss „cuatro cojones“ haben, wie die Venezolaner<br />

sagen. Bewunderung in diesen Medien kann schnell in Hass<br />

umschlagen.<br />

Woher können Sie so gut Spanisch?<br />

Mein Mann ist Venezolaner. Er ist dort geboren, aber er kam mit<br />

etwa 20 in die Schweiz. Mit ihm spreche ich Französisch, während<br />

er mit unserem Sohn Spanisch spricht. Der ist jetzt zweieinhalb,<br />

und es ist so süß, wie er zwischen<br />

den Sprachen changiert.<br />

Wie sind Sie aufgewachsen?<br />

In Bulgarien, in Plowdiw. Eine<br />

sehr schöne, kleine, alte Stadt mit<br />

viel Geschichte. Die Römer waren<br />

da, es gibt einige Theater und ein<br />

antikes Stadion. Wir haben eine große musikalische Tradition.<br />

Mein Vater sang sehr schön, war aber kein Musiker.<br />

Ihr Bruder wurde ein regelrechter Popstar.<br />

Diese Geschichte ist erstaunlich, denn er wuchs so auf wie ich. Er<br />

spielte Klavier, Kontrabass, alle möglichen Instrumente. Und er<br />

sang. Eines Tages meldete meine Mutter ihn bei einer in Bulgarien<br />

sehr populären Casting-Show an. Mein Bruder gewann 2005 als<br />

17-Jähriger die Star Academy. Danach änderte sich sein ganzes<br />

Leben. Bulgarien ist nun mal kein großes Land. Plötzlich kannte<br />

man ihn überall. Und wir sahen ihn mehr im Fernsehen als zu<br />

Hause. Das war schon kurios! Es war einfach nicht mehr möglich,<br />

mit ihm auf der Straße zu gehen. Unmöglich. Alle Mädchen<br />

schrien nach ihm. Irgendwann entschied mein Bruder, damit<br />

aufzuhören, das Fach zu wechseln. Er singt heute auch an der Oper<br />

in Bulgarien.<br />

Würden Sie gerne ein Leben führen wie Ihr Bruder damals?<br />

Nein. Ich habe zwar mal Pop-Duette mit ihm gesungen, aber ich<br />

mag das diskrete Leben. Ich brauche eine gesunde Distanz zu<br />

diesem ganzen Zirkus. Ich würde dort zu viel Energie lassen, die<br />

ich brauche, um eine gute Sängerin zu sein.<br />

Sie waren Moderatorin in einer Musikshow im Fernsehen.<br />

Ja, das war nicht einfach für mich, denn eigentlich bin ich eher<br />

schüchtern. Doch wie gesagt denke ich mir immer, dass ich keine<br />

zweite Chance bekomme, und bin ins kalte Wasser gesprungen.<br />

Die Erfahrung half mir sehr. Ich lernte, mich auf der Bühne zu<br />

bewegen, die Angst vor der Angst zu verlieren und meine<br />

Bewegungen und den Ausdruck des Gesichts zu kontrollieren.<br />

Geformt wurden Sie von der Alten Musik.<br />

Ja, das war Schicksal. In Genf bei einer Masterclass von William<br />

Christie sang ich eine Alcina-Arie, habe sie einfach ausprobiert,<br />

obwohl ich mich mit diesem Repertoire eigentlich nicht beschäftigt<br />

hatte. In Bulgarien gibt es fast nur Verismo-Oper. Und<br />

Christie nahm mich. So konnte ich in seinem Jardin-des-Voix-<br />

Projekt schnell Praxis gewinnen. Ich lernte Flexibilität, Präzision,<br />

Disziplin beim Gestalten der Verzierungen und der Artikulation<br />

und Aussprache, die in der Barockmusik besonders wichtig sind.<br />

Sänger des 19.-Jahrhundert-Repertoires interessiert das oft<br />

weniger, weil sie immer den großen Bogen im Kopf haben. Es war<br />

eine wunderbare Schule, in die jeder Sänger gehen sollte, denn es<br />

hilft, spätere Fehler zu vermeiden.<br />

Dabei vergleicht man Sie mit Anna Netrebko, die Sie nicht nur<br />

als Mimì, sondern auch als Marguerite in Gounods Faust<br />

ersetzt haben.<br />

„DEN FANS ENTGEHT KEIN DETAIL<br />

AUS DEINEM LEBEN“<br />

Ich mag es nicht, wenn die Menschen immer eine Art Klon haben<br />

wollen. Ich weiß nicht, warum das so ist. Man wird nicht als<br />

eigenständige Künstlerpersönlichkeit gesehen. Ich wollte selbst<br />

nie eine andere Sängerin imitieren. Nie. Natürlich höre ich, wie<br />

andere Sängerinnen bestimmte technische Dinge angehen. Die<br />

Persönlichkeit muss man selbst hineingeben. Anna, die ich sehr<br />

mag, ist ein anderer Typ als ich. Sie berührt auf andere Weise, mit<br />

ihrem Glamour, ihrem Auftritt, ihrer fantastischen Stimme, die<br />

eine einzigartige Strahlkraft hat.<br />

Sie malen gerne?<br />

Ich liebe es, Landschaften zu malen. Die Natur hat alles, alle<br />

Farben, das Kräftige wie das Zarte, Impressionistische.<br />

Wenn Sie Ihre Stimme malen müssten?<br />

Oh, das wäre lustig! Ich würde,<br />

glaube ich, alle Farben nehmen,<br />

die einander beißen. Als Künstlerin<br />

liebe ich die Extreme, als<br />

Mensch allerdings weniger. Als<br />

Künstlerin kann ich ebenso eine<br />

dramatische Frau sein wie eine<br />

zarte, zurückhaltende. Das ist das Großartige an unserem Beruf.<br />

Wir können das alles ausleben, ohne es zu müssen.<br />

Beeinflusst Ihre bulgarische Muttersprache Ihren Gesang?<br />

Ich glaube, dass die erste Sprache, die man als Kind lernt, immer<br />

eine Auswirkung auf die Vokalfärbung, die Intonation, die<br />

Modulation hat. Slawische Sprachen haben sehr viele Farben,<br />

haben einen orientalischen, einen griechischen, einen türkischen<br />

Touch. Dennoch hat mich die Sprache nicht gehindert, auch<br />

andere Sprachen zu erlernen.<br />

Inwiefern beeinflusst die heutige Casting-Politik der Opernhäuser<br />

Ihre Karriere?<br />

Das ist nicht einfach zu beantworten. Früher durfte ich keine<br />

Entscheidung treffen, jetzt habe ich mehr Freiheit. Früher war ich<br />

die junge Sonya, die frisch und sprudelnd zu sein hatte. Heute<br />

darf ich tiefgründiger sein, bin beteiligt an Entscheidungen,<br />

welche Produktion, welches Ensemble, kann mit Regisseuren<br />

sprechen. Das ist sehr wichtig. Nur so können wir wirklich gute<br />

Ergebnisse erzielen.<br />

Christie sagte zu Ihnen, Sie könnten alles singen. Wie wird<br />

man eine gute Sängerin?<br />

Disziplin, Fleiß, Neugier und die Fähigkeit, die Emotionen<br />

fokussieren zu können. Und das private Leben nicht mit dem<br />

Leben auf der Bühne zu verwechseln. Mein Vater starb, als ich auf<br />

der Bühne stand. Das war schwer für mich. Als Künstler hast du<br />

zwei Leben, die parallel laufen, das auf der Bühne und das wahre<br />

Leben. Mein Herz und meine Gedanken waren natürlich bei<br />

meiner Familie in diesem Moment. Aber nicht ich soll als<br />

Künstlerin auf der Bühne weinen, sondern die Menschen zum<br />

Weinen bringen. Das ist ein großer Unterschied, und viele<br />

verwechseln das.<br />

Und wie bleibt man eine gute Sängerin?<br />

Man muss eine Art Feeling entwickeln für das, was einem guttut.<br />

Im Moment habe ich das Gefühl, dass meine Stimme tiefer<br />

geworden ist, wärmer in der Mittellage. Danach muss ich die<br />

Rollen wählen. Und selbstbewusst Angebote ablehnen, die nicht zu<br />

mir passen. Das ist nicht einfach. Auch privat muss es stimmen.<br />

Denn nur eine glückliche Sängerin ist auch eine gute Sängerin.<br />

„The Verdi Album“, Sonya Yoncheva, Münchner Rundfunkorchester,<br />

Massimo Zanetti (Sony)<br />

Termine: 4.2. Genève (CH), Grand Théâtre;<br />

7.2. Dortmund, Konzerthaus<br />

■<br />

24 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>18</strong>

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