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CRESCENDO 1/18 Januar-März 2018

CRESCENDO - das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Sonya Yoncheva, Paavo Järvi, Evelyn Glennie und Gauthier Capuçon.

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Filmmusik<br />

Für den Film König Laurin schuf David Reichelt<br />

eine märchenhafte musikalische Fantasiewelt<br />

FOTOS: SPARKLING PICTURES / IVAN POLETTI (3); SPARKLING PICTURES / JULIAN COROMINES; SPARKLING PICTURES / FELIX VON POSER (2)<br />

entwickelt er dann weiter, macht sich eine schematische Auflistung,<br />

wie er den Film gestalten möchte: Wo soll überhaupt Musik<br />

erklingen und für was soll sie stehen? Dabei sind der Regisseur<br />

und später die Produzenten involviert, mit denen Reichelt über<br />

Spannungsbögen und Strukturen debattiert.<br />

Dann wird „ausproduziert“, also orchestriert, gegebenenfalls<br />

Solisten involviert und tatsächlich eingespielt. „Wenn ich nicht<br />

explizit den Charakter von elektronischer Musik treffen will,<br />

nehme ich alles selbst auf“, so Reichelts Ehrgeiz. „Ich baue nicht<br />

mit Samples reale Instrumente nach. Das erreicht nie die 100 Prozent<br />

einer echten Interpretation“. Für gängige Instrumente hat er<br />

eine Stammbesetzung aus seinem Netzwerk, die er „zusammentelefoniert“<br />

und Stück für Stück bei sich im Studio aufnimmt. Vieles<br />

spielt Reichelt dabei höchstpersönlich<br />

ein, so ist er etwa leidenschaftlicher<br />

Saxofonist oder übernahm in der<br />

märchenhaften Fantasiewelt von König<br />

Laurin verschiedene ethnische Instrumente.<br />

„Ich habe schon während der<br />

Schulzeit Instrumente gesammelt“,<br />

strahlt Reichelt. „Ich liebe es, neue zu<br />

lernen! Hier im Studio habe ich gerade<br />

über 50 verschiedene. Für skurrile Musikwelten räume ich auch<br />

mal meine ganze Küche aus und sample Klänge daraus. Oder ich<br />

gurgle oder singe mit morgendlicher Reibeisenstimme und verzerre<br />

das zu synthesizerartiger Musik.“<br />

Für die opulenten Orchesterklänge der Laurin-Produktion<br />

hatte Reichelt für zwei Tage das Babelsberger Filmorchester zur<br />

Verfügung. „Das war für die Aufnahme von einer ganzen Stunde<br />

Orchestermusik sehr knackig“, gesteht Reichelt. „Da muss man<br />

effizient arbeiten. Ich habe die Musik so arrangiert, dass sie von<br />

guten Musikern beim ersten Mal zu spielen ist und Themenvariationen<br />

hintereinander aufgenommen werden.“ Als reines Filmmusikorchester<br />

sind die Babelsberger gewöhnt, „auf Klick“ einzuspielen<br />

– also einen Klicktrack auf ihre Kopfhörer bekommen,<br />

der eine zeitlich absolut passgenaue Einspielung gewährleistet.<br />

Beim Dirigent läuft außerdem in einem Bildschirm der Film mit,<br />

der beispielsweise zusätzlich mit Countdowns zum Abwinken<br />

von Schlussakkorden versehen ist. Diese richtet Reichelt selbst<br />

ein, der hier zum Produktionsleiter wird. Beim anschließenden<br />

Mischen dieser „Hybridproduktionen“ werden dann Orchesterklang,<br />

unabhängig davon eingespielte Solisten und elektronische<br />

„SELBST MUSIK ZU SCHAFFEN,<br />

WAR MEIN GRUNDSÄTZLICHES<br />

BEDÜRFNIS!“<br />

Zuspielungen zu einem idealen Raumklang „vermengt“.<br />

Heute ist Reichelt zunehmend gut im Geschäft, doch auch<br />

für ihn war aller Anfang schwer. Er komponiert, seit er sechs<br />

Jahre alt ist, obwohl keiner in seiner Familie Musik machte. In<br />

der Schule schrieb er Musik für die Theatergruppe. Die Symbiose<br />

zwischen Bild und Musik faszinierte ihn. Doch es sollte zermürbende<br />

19 Aufnahmeprüfungen dauern, bis Reichelt seinen Platz<br />

in der Kompositionsklasse von Filmmusiklegende Enjott Schneider<br />

(Herbstmilch, Schlafes Bruder, Stalingrad) fand. „Es gab keine<br />

Alternative für mich! Das wollte ich machen“, so Reichelt, deshalb<br />

kämpfte er, bis es vier Jahre später endlich klappte.<br />

Doch dann folgten erste kleine, unbezahlte Projekte, etwa<br />

mit der Hochschule für Fernsehen und Film in München und<br />

Musik für Werbespots zum Geldverdienen.<br />

Peu à peu baute Reichelt sein<br />

Netzwerk auf. Es kam eine erste Reihe<br />

– die bayerische Fernsehserie Hindafing<br />

–, in der er die Intrigen und die<br />

Verschrobenheit der Dorfbewohner<br />

im schrillen, reduzierten Jazzsound<br />

auf Schlagzeug, Bass und Saxofon –<br />

Letzteres von Reichelt selbst gespielt<br />

– widerspiegelte. „Die Drogenrauschszenen bei Hindafing sind<br />

musikalisch betrachtet sehr wild“, lacht er. Die insgesamt 4,5<br />

Stunden Filmmaterial sind nach ihrer Fernsehausstrahlung 2017<br />

nun auf Netflix zu sehen.<br />

Und jetzt? Ist der Deutsche Filmmusikpreis für König Laurin<br />

ein höhnischer Triumph? „Nein“, bleibt Reichelt bescheiden. „Das<br />

gibt nach all den Kämpfen und den vielen komplett durchgearbeiteten<br />

Jahren Kraft und setzt einiges in einem frei. Es war ein überwältigendes<br />

Gefühl, und da sind an diesem Abend schon ein paar<br />

Freudentränen geflossen.“<br />

Aktuell sitzt Reichelt in den Startlöchern für einen weiteren<br />

Kinofilm, La Palma. Es geht darum, was Liebe bedeutet, um ein<br />

Pärchen, das kurz vor der Trennung steht und es noch einmal miteinander<br />

versuchen will. Und sein Wunschtraum? Na, wenn Hollywood<br />

anklopfen würde, wäre das schon nicht<br />

schlecht. Vielleicht einen Titelsong für James<br />

Bond schreiben …?<br />

■<br />

„König Laurin. Original Motion Picutre Soundtrack“, David Reichelt<br />

(Rough Trade)<br />

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