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CRESCENDO 1/18 Januar-März 2018

CRESCENDO - das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Sonya Yoncheva, Paavo Järvi, Evelyn Glennie und Gauthier Capuçon.

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Interviews unter anderem mit Sonya Yoncheva, Paavo Järvi, Evelyn Glennie und Gauthier Capuçon.

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Filmmusik<br />

lampe in der Hand zu sehen. Ebenso wie bei den ersten Blogs von<br />

crescendo, die zu Hause am Schreibtisch zusammengeschnitten<br />

wurden. Kleiner Insider: Ein für uns gesungenes „crescendo“ von<br />

Rolando können Sie bis heute im Abspann der crescendo-Videos<br />

hören (www.youtube.de/crescendomagazin). Jetzt, zehn Jahre<br />

später, ist längst klar: Print und Bewegtbild schließen einander<br />

nicht aus, sondern ergänzen und befruchten sich gegenseitig. Die<br />

Filme vom ECHO KLASSIK werden inzwischen hochprofessionell<br />

und in HD-Fernsehstandard produziert – jedes Mal treffen<br />

wir über 30 Künstler zu Kurzgesprächen.<br />

Allein auf der Internetseite<br />

crescendo.de sind inzwischen weit<br />

über 50 Folgen von „crescendo trifft …“<br />

zusammengekommen, zum Teil mit<br />

schwindelerregenden Klickzahlen und,<br />

verteilt über verschiedene Seiten, mit<br />

mehreren 100.000 Zuschauern (zum<br />

Beispiel, wenn Joyce DiDonato über<br />

Donald Trump redet). In der Rubrik<br />

„Mein erstes Mal“ sprechen Künstler<br />

über ihre ersten Begegnungen mit der<br />

Musik, Attila Csampai stellt regelmäßig<br />

seine Lieblingsplatten im Video<br />

vor und die leitende crescendo-Redakteurin Maria Goeth und der<br />

Blockflötist Stefan Temmingh treffen sich zum Kochen mit Klassik-Stars.<br />

Klar, all diese Formate ersetzen kein Fernsehen, aber sie zeigen,<br />

wie das Bewegtbild längst zum Teil eines neuen Journalismus<br />

geworden ist. Viele Leser kommen über Facebook oder andere<br />

soziale Medien zum ersten Mal in Kontakt mit Musik (manche<br />

wissen gar nicht, dass es crescendo auch in gedruckter Form gibt).<br />

Wenn ich nun diese zehn Jahre zurückblicke wird eines klar:<br />

Print, Video, Internet, Film, Streaming. Aus dem Printmagazin<br />

ist ein Klassikmedium gewachsen, das über die verschiedenen<br />

Kanäle viel mehr Menschen erreicht als früher.<br />

Vor zwei Jahren saß der Chef der Unitel, Jan Mojto, auf<br />

einem Podium der Avant Première. Früher war es sein Geschäftsmodell,<br />

Filme und Konzerte für große öffentliche Sender aufzunehmen<br />

und die Rechte daran zu verkaufen. Heute denkt er ganz<br />

anders: „Wir nehmen die wichtigen Dinge auf“, sagte Mojto, „was<br />

sich verändert hat, sind die Möglichkeiten, sie auszuspielen: Das<br />

kann der Fernsehsender sein, dass können neue Klassik-Kanäle<br />

im Netz sein, dass können Homepages von Zeitungen sein oder<br />

natürlich Anbieter wie Netflix, die das neue Fernsehen ins Netz<br />

verschoben haben.“ Klar wird bei derartigen Aussagen, dass wir<br />

die Berichterstattung über Musik nicht mehr eindimensional denken<br />

können, dass das Sehen und Hören zum Lesen dazugehört,<br />

dass es unterschiedliche Situationen für unterschiedliche Formen<br />

der Erzählweise gibt – und dass alle Medien auf diese Erkenntnis<br />

reagieren müssen. Die Zeitung mag dabei der Grundpfeiler<br />

sein, der die Geschichte des eigenen Unternehmens transportiert,<br />

die mit ihrer Premium-Ausgabe zum gemütlichen und intensiven<br />

Lesen verführt – eine Visitenkarte. Das Bewegtbild ist dabei eine<br />

Erweiterung, eine Chance, Menschen an Orten zu erreichen, die<br />

für klassische Zeitungen und Zeitschriften längst unerreichbar<br />

sind.<br />

DAS KINO IST ZUR LEGITIMEN<br />

ERWEITERUNGSZONE DES OPERN-<br />

HAUSES GEWORDEN, DURCH DAS<br />

DIE WELTKLASSE IN JEDEM KAFF ZU<br />

HAUSE SEIN KANN<br />

Und das schafft man besonders, wenn das aufwendige Filmen<br />

gleich mehrere Ziele verfolgt. Das Ideal einer aufwendigen<br />

Begleitung eines Klassik-Events erstreckt sich nicht mehr darin,<br />

es einfach nur abzufilmen, zu senden und zu vergessen, sondern<br />

möglichst viel Material zu sammeln, mit dem weitgehend<br />

zeitlose Dokumente geschaffen werden: Backstage-Interviews,<br />

Probe arbeit, Meisterklassen, Interpretationsanalysen oder musikalische<br />

Erläuterungen werden parallel zur Aufführung gedreht<br />

und stehen danach für vielseitige Neuverwertungen zur Verfügung.<br />

Primäres Ziel ist es, den aktuellen<br />

Erfolg der Live-Veranstaltungen<br />

allgemein zugänglich zu machen und<br />

somit auch eigene „Stars“ aufzubauen,<br />

etwa die Sopranistin Anja Harteros,<br />

die kaum auf CD, wohl aber auf zahlreichen<br />

DVDs begeistert. In der Filmbranche<br />

scheint es inzwischen wieder<br />

um Dinge zu gehen, die lange vergessen<br />

wurden: Kontinuität, das Denken<br />

in großen Zeiträumen und die wahre<br />

Pflege von Künstlern, ihren Ressourcen,<br />

ihren Möglichkeiten und ihren<br />

Karrieren.<br />

Außerdem haben die audiovisuellen Medien begriffen, dass<br />

sie sich in einer vernetzten Welt miteinander vernetzen müssen.<br />

Auf Veranstaltungen wie der Avant Première kommen Bühnen<br />

und Orchester mit den Produzenten, Fernsehsendern, mit Kinos,<br />

Regisseuren und Autoren ins Gespräch, um gemeinsam Zukunftspläne<br />

auszuhecken. Derartige Ansätze werden auf der diesjährigen<br />

Avant Première viele zu sehen sein. Filme, die international<br />

funktionieren, die sich auf das Archiv des Aufgenommenen stützen<br />

und gleichsam in der Gegenwart stehen, Filme, in denen es<br />

um das Miteinander aller Institutionen geht, die in der Klassik<br />

eine Rolle spielen, um das Publikum so nahe wie möglich an die<br />

Kunst zu bringen.<br />

An den Stehtischen im Foyer des Scandic Hotels wird es auch<br />

dieses Mal darum gehen, wie die Kraft des eigentlichen Opernoder<br />

Konzertabends im Film abzubilden ist, egal für welches<br />

Medium, ob für das Fernsehen, die DVD oder den Stream. Klar<br />

ist, dass alles dort beginnen muss, wo auch für das Publikum die<br />

Magie einsetzt: beim Veranstalter, im Konzert- oder im Opernhaus.<br />

Natürlich wird das Bewegtbild niemals die Möglichkeit<br />

haben, ein Live-Event in New York, an der Bayerischen Staatsoper,<br />

bei den Bayreuther Festspielen oder in der Berliner Philharmonie<br />

abzubilden, wie es wirklich ist. Auch hier zählt schließlich noch<br />

das Wort Roland Barthes’, dass jeder Reproduktion am Ende die<br />

Aura des Originals fehlen wird. Das Fernsehen hat aber die Möglichkeit,<br />

eine andere, eigene Aura zu schaffen, die jener im Theater<br />

nicht im Wege steht, im Gegenteil, sogar neugierig auf das Theater<br />

macht: die Aura dessen, was der Konzert- oder Opernbesucher<br />

nicht zu sehen bekommt, das Detail, den Zoom, den Blick hinter<br />

die Kulissen, das exklusive Gespräch mit den Künstlern. All das<br />

kann das Fernsehen, und es ist dabei, diese Qualität zu perfektionieren,<br />

seine Kräfte zu bündeln, um mit dem Abenteuer der klassischen<br />

Musik so viele Menschen wie möglich zu begeistern und<br />

zu berühren.<br />

■<br />

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