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CRESCENDO 1/18 Januar-März 2018

CRESCENDO - das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Sonya Yoncheva, Paavo Järvi, Evelyn Glennie und Gauthier Capuçon.

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Interviews unter anderem mit Sonya Yoncheva, Paavo Järvi, Evelyn Glennie und Gauthier Capuçon.

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F I L M M U S I K<br />

Otto M. Krämer<br />

David Cassan<br />

FOTO: PRIVAT; A. FILLON<br />

EINE ALTE KUNST LEBT:<br />

STUMMFILME MIT<br />

ORGELBEGLEITUNG<br />

David Cassan und Otto M. Krämer sind Stars ihrer Zunft.<br />

VON GUIDO KRAWINKEL<br />

Es ist eine scheinbar idyllische Szene auf dem See: Die Sonne<br />

scheint, sanft kräuseln sich die Wellen auf dem Wasser, zahlreiche<br />

Vögel nutzen das gute Wetter für eine Rast auf dem<br />

Gewässer. Und doch stimmt etwas nicht. Ein Pärchen sitzt<br />

in einem Ruderboot. Während die Frau sich unschuldig umschaut,<br />

wirkt der an den Rudern sitzende Mann bedrückt, innerlich zerrissen.<br />

Die Stimmung ist angespannt, die Atmosphäre zunehmend<br />

bedrohlich. Zu sehen ist davon zunächst jedoch wenig, aber<br />

zu hören: beunruhigend pochende Harmonien einer Orgel, die<br />

immer eindringlicher und düsterer werden, begleiten die Szene.<br />

Noch weiß der Zuschauer nicht, was passieren wird, aber er ahnt<br />

bereits: Es wird etwas Schlimmes sein.<br />

Sonnenaufgang – Lied von zwei Menschen heißt der Stummfilm<br />

von Friedrich Wilhelm Murnau, in dem sich diese Szene<br />

abspielt. Untermalt wird er von Orgelmusik, live improvisiert von<br />

dem französischen Organisten David Cassan, einem Star seiner<br />

Zunft. Er hat drei der weltweit renommiertesten Improvisationswettbewerbe<br />

in St. Albans, Chartres und Haarlem gewonnen und<br />

wurde erst kürzlich als einer der Titularorganisten des Oratoire du<br />

Louvre in Paris ernannt.<br />

Der smarte Mittzwanziger mit den riesigen Brillengläsern<br />

frönt nicht nur in liturgischem Rahmen der traditionsreichen<br />

Kunst der Improvisation. Er begleitet auch gerne Stummfilme,<br />

eine Kunst, die nach dem Aufkommen des Tonfilms fast in Vergessenheit<br />

zu geraten drohte. „Ich liebe die Improvisation, weil sie<br />

es mir ermöglicht, mich direkt auszudrücken, ohne den beschwerlichen<br />

Umweg über die Komposition zu nehmen. Das Publikum<br />

spürt dies meistens sofort“, so Cassan zu einem seiner Stummfilm-<br />

Konzerte mit Murnaus Sonnenaufgang.<br />

„Improvisatoren lieben diesen Film, weil er sehr farbig ist, sehr<br />

kontrastreich. Es gibt bukolische, ruhige Szenen, aber auch Szenen<br />

in der Stadt, die voller Dynamik und Rhythmik sind. Es gibt lustige,<br />

ängstliche und fröhliche Szenen. Es ist ein Film, der es erlaubt, viele<br />

verschiedene Klangfarben der Orgel vorzustellen, die hierfür perfekt<br />

geeignet ist.“ Die scheinbar idyllische Szene am Anfang des Films ist<br />

zutiefst tragisch, da der Mann seine Frau betrügt und sie umbringen<br />

62 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>18</strong>

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