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CRESCENDO 1/18 Januar-März 2018

CRESCENDO - das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Sonya Yoncheva, Paavo Järvi, Evelyn Glennie und Gauthier Capuçon.

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Filmmusik<br />

WOHER KOMMT<br />

EIGENTLICH …<br />

… die Musik im Film ?<br />

VON STEFAN SELL<br />

Im Vorspann jedes Films wird meist der Name des<br />

großen Filmkomponisten genannt. Man achte jedoch<br />

einmal darauf, ob andere, vielleicht bereits bekannte<br />

Musikstücke oder Songs im Film die Aufmerksamkeit<br />

erheischen als eben die Musik des genannten Komponisten.<br />

Sollte einen interessieren, was man da hört, heißt es, geduldig<br />

warten bis zum Ende des Abspanns, die Lesebrille holen<br />

und dann nah an den Bildschirm rücken, um aus kleinster<br />

Schrift zu entziffern, wessen Werk das Ohr erfreute. Meist<br />

handelt es sich hierbei um „die Musik im Film“. Komponierte<br />

Filmmusik dagegen besteht aus einem um Handlung<br />

und Personen kreisenden Leitmotiv. Sie ist während<br />

des ganzen Films gegenwärtig, mal unterschwellig, mal<br />

sehr direkt, sie ist Musik, die wie ein drohendes Damoklesschwert<br />

über dem Zuschauer schwebt oder ihn<br />

als wärmender Pelz einhüllt, womöglich zuckersüß<br />

einlullt. Musik im Film ist oft Musik, die schon vor<br />

dem Film ein Dasein hatte.<br />

Filmproduzent Sam Goldwyn, dessen Filme alle mit<br />

einem brüllenden Löwen beginnen, forderte von Filmkomponisten:<br />

„Bitte, schreiben Sie Musik wie Wagner, nur lauter!“<br />

Man könnte daraufhin Wolfgang Wagner zitieren: „Wenn mein<br />

Großvater heute noch leben würde, würde er zweifellos in Hollywood<br />

arbeiten.“<br />

Filmmusik erinnert uns daran, dass wir nur Zuschauer sind.<br />

Ob die Akteure die Musik hören, wissen wir nicht, denn Filmmusik<br />

ist Off-Musik, sie wird nach dem Dreh auf die Tonspur<br />

gebracht. Die Musik im Film kann ihre Quelle im Bild haben, Teil<br />

der Handlung sein, so wie in Apokalypse Now nach dem zynisch<br />

bitteren Aufruf „This is a Romeo Foxtrot. Shall we dance?“ einer<br />

der vielen amerikanischen Soldaten an Bord eines Hubschraubers<br />

ein Tonbandgerät einschaltet und man sehen muss, wie zur Musik<br />

von Wagners Walkürenritt unzählige Helikopterstaffeln in großer<br />

Übermacht Bomben werfend über ein friedliches Vietnam fliegen.<br />

Die eigentliche Filmmusik dazu komponierte Francis Ford<br />

Coppola zusammen mit seinem Vater Carmine Coppola. Doch<br />

wer erinnert sich schon daran, im Gedächtnis verankert blieb der<br />

Walkürenritt, untrennbar verknüpft mit dieser Filmszene.<br />

So spektakulär wie Wagner sind auch andere Klassiker eingesetzt<br />

worden, siehe 2001: Odyssee im Weltraum. Ursprünglich<br />

hatte der Komponist Alex North die Filmmusik zu Stanley<br />

Kubricks Film geschrieben. Alex North war ein Meister<br />

seines Faches, seine Werke kleideten Filme in Hülle<br />

und Fülle, von Endstation Sehnsucht bis Good Morning,<br />

Vietnam, 14-mal wurde er nominiert, doch nie bekam er<br />

einen Oscar. Posthum ehrte man ihn mit einem erstmalig<br />

vergebenen Ehren-Oscar. Was für ein Affront muss es für<br />

North gewesen sein, als er am 2. April 1968 bei der Filmpremiere<br />

statt seiner Musik plötzlich Also sprach Zarathustra<br />

von Richard Strauss hörte. Kubrick hatte in seiner Plattensammlung<br />

gewühlt und kurzfristig entschieden, auf<br />

Norths Musik zu verzichten: „Wie gut unsere besten<br />

Filmkomponisten auch sein mögen, Beethoven, Mozart<br />

oder Brahms sind sie nicht.“<br />

Ob Bachs Goldbergvariationen im Schweigen<br />

der Lämmer auftauchen oder Jesus bleibet meine<br />

Freude Spielbergs Minority Report ziert, das Air sich<br />

mit dem Horror in Sieben vermählt, Beethovens Elise<br />

Rosmaries Baby betört oder seine Fünfte schicksalshaft den Tod<br />

in Venedig oder Saturday Night Fever durchdringt, immer ist es<br />

Musik im Film. Die jeweilige Filmmusik hingegen schrieb jemand<br />

anders.<br />

Quentin Tarentino hat viele Songs aus den 60er- und 70er-<br />

Jahren verwendet und ihnen in seinen Filmen zu einer Renaissance<br />

verholfen. In Kill Bill 1 (2003) zeichnet der Rapper RZA<br />

vom Wu-Tang Clan für den Soundtrack verantwortlich. Fraglos<br />

prominent aber ist in diesem Film Don’t let me be misunderstood<br />

in der erfolgreichen Disco-Version aus dem Jahre 1977 von Santa<br />

Esmeralda.<br />

Im Jahre 2001 kam aus den DreamWork-Produktionsstätten<br />

Shrek mit der Filmmusik von Harry Gregson-Williams und John<br />

Powell auf die Leinwand. Ohrenfällig darin: der Song Hallelujah.<br />

Plötzlich hörte ein völlig neues Publikum Leonard Cohen. Der<br />

Song wird so oft gecovert und ist so häufig in Filmen anzutreffen,<br />

dass Leonard Cohen dem „Guardian“ gestand: „Ich habe gerade<br />

eine Rezension des Filmes The Watchmen gelesen, worin der Song<br />

vorkommt, und der Rezensent schrieb: ‚Können wir bitte ein<br />

Moratorium für Hallelujah in Filmen und Fernsehshows gewähren?‘.<br />

Ich empfinde genauso. Es ist ein guter Song, aber zu viele<br />

Leute singen ihn.“<br />

■<br />

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