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CRESCENDO 1/18 Januar-März 2018

CRESCENDO - das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Sonya Yoncheva, Paavo Järvi, Evelyn Glennie und Gauthier Capuçon.

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Interviews unter anderem mit Sonya Yoncheva, Paavo Järvi, Evelyn Glennie und Gauthier Capuçon.

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Paavo Järvi mit seinem Estonian Festival Orchestra<br />

FOTOS: KAUPO KIKKAS<br />

Das Orchester ist einzigartig für mich, weil es ein Herzensprojekt<br />

ist: Ich bin Este, ich bin weggegangen aus Estland und wiedergekommen.<br />

Ich glaube, ich kann nützlich sein, um Estland und seine<br />

Musiker populärer zu machen. Estland ist so klein, aber seine<br />

geographische Lage ist fantastisch. So viele Menschen wollten dieses<br />

Stück Land haben. Wir waren besetzt von den Schweden, den<br />

Dänen, zweimal von den Russen, zweimal von den Deutschen.<br />

Jeder im finnischen Krieg wollte diesen Zugang zum baltischen<br />

Meer, dieses Fenster nach Europa. Und die estnische Geschichte ist<br />

eine europäische Geschichte, eng verbunden mit der unserer<br />

baltischen Nachbarn, mit Skandinavien, Russland und Deutschland.<br />

Auch der Ort des Festivals, Pärnu, hat eine Geschichte …<br />

Ich bin im russischen Teil Estlands aufgewachsen, mit einer<br />

ausgesprochen hohen Dichte an Musikern, die alle unter dem<br />

sowjetischen System litten. Viele von ihnen verbrachten ihre<br />

Sommer in der kleinen Stadt Pärnu, dem Spa Estlands. Dort traf<br />

man Oistrach, Rostropowitsch, Roschdestwenski, Gilels, Schostakowitsch.<br />

Ich dachte also, es wäre logisch, mit einem nicht-estnischen<br />

Album zu beginnen, zugleich aber mit etwas, das mit<br />

unserer Geschichte und diesem Ort zu tun hat. Und letztlich sind<br />

wir doch eine musikalische Organisation, die internationale<br />

Brücken bauen will. Wir haben Musiker von überall her. Das<br />

Orchester ist nicht limitiert auf Esten.<br />

Ab <strong>Januar</strong> 20<strong>18</strong> gehen Sie mit dem Orchester erstmals auf<br />

Tournee.<br />

20<strong>18</strong> ist ein ganz wichtiges Jahr, denn unsere Unabhängigkeit wird<br />

100 Jahre alt – so jung sind wir. Ein Meilenstein. Deshalb dachte<br />

ich, es sei die richtige Zeit, zum ersten Mal auf Tournee zu gehen<br />

und dieses Orchester vorzustellen. Der estnische Komponist<br />

Erkki-Sven Tüür hat seine neue Sinfonie für uns geschrieben, wir<br />

spielen Schostakowitsch und vieles mehr – es ist das erste Outing<br />

für unser Orchester.<br />

Daneben stehen auch Brahms, Sibelius und Pärt auf dem<br />

Programm.<br />

Als ich das Estonian Festival Orchestra gegründet habe, war mir<br />

sehr wichtig, dass es in seinem Repertoire nicht festgelegt ist.<br />

Natürlich werde ich gefragt, warum unser Fokus nicht auf estnischer<br />

Musik liegt. Aber es ist ja kein estnisches Orchester – es ist<br />

ein europäisches Orchester. Pärt, Sibelius, Schostakowitsch und<br />

Brahms zusammenzubringen, ist insofern sehr wahrhaftig.<br />

Der Spirit des Orchesters ist also Vielfalt?<br />

Genau das. Zugleich ist er von der Grundzügen her sehr idealistisch.<br />

Wir alle wissen, dass wir die Welt nicht verändern können.<br />

Aber wir können die Botschaft in die Welt hinaustragen, dass die<br />

Musik Brücken schlagen kann. Die Politiker aus aller Welt machen<br />

ihren Job im Moment nicht gerade gut. Und so ist es von uns eine<br />

symbolische Geste, unserem Bestreben angemessen Ausdruck zu<br />

verleihen, die Leute durch menschliche Qualitäten zu vereinen.<br />

Im Grunde nichts anderes als Barenboims Orchester des<br />

West-Östlichen Divans.<br />

Ja, die Botschaft ist: Vereinigung. Barenboim ist brillant, ein<br />

Vorbild für mich. Er hat den Mut und die Ausdauer, die Botschaft<br />

wirklich voranzutreiben und nicht nachzulassen.<br />

Es gibt so viele Plätze auf der Welt, wo es gut ist<br />

zu heilen.<br />

■<br />

Shostakovich: „Symphony No. 6, Sinfonietta“,<br />

Estonian Festival Orchestra, Paavo Järvi (Alpha)<br />

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