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CRESCENDO 1/18 Januar-März 2018

CRESCENDO - das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Sonya Yoncheva, Paavo Järvi, Evelyn Glennie und Gauthier Capuçon.

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Interviews unter anderem mit Sonya Yoncheva, Paavo Järvi, Evelyn Glennie und Gauthier Capuçon.

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U<br />

FOTOS: FELIX BROEDE / WARNER CLASSICS<br />

nterm Eiffelturm haben sie eine Bühne aufgebaut, mit<br />

Sternchenhimmel und Mood-Beleuchtung. Das Orchester<br />

rollt einen Klangteppich aus, dann setzt der Cellist ein: strahlendes<br />

Lächeln, weiße Smokingjacke. Schon während er die ersten<br />

Töne von Massenets Méditation de Thaïs aufglühen lässt, schwenken<br />

die Menschen draußen auf dem Marsfeld ihre Handytaschenlampen,<br />

und als das Stück verlischt,<br />

bricht die Menge in Jubel aus wie bei<br />

einem Rockkonzert.<br />

Wenn sich ein klassischer Musiker<br />

für so ein populäres Format hergibt,<br />

kann er sich darauf gefasst machen, von<br />

den Vertretern einer elitären Kunstauffassung<br />

an den Pranger gestellt zu werden.<br />

Die Attribute sind schnell bei der<br />

Hand: oberflächlich, anbiedernd, unseriös.<br />

An Gautier Capuçon perlt so etwas<br />

ab. Auch abseits des Open-Air-Konzerts<br />

ist er sich nicht zu schade, das breite<br />

Publikum anzusprechen. Als Juror der<br />

französischen Fernsehshow „Prodiges“<br />

(„Wunderkinder“) erreicht er Millionen,<br />

da begleitet er schon mal eine kleine Ballerina<br />

mit dem berühmten Schwan von<br />

Saint-Saëns.<br />

Mögen die Puritaner auf ihn eindreschen,<br />

Capuçon ist als Interpret über<br />

den Verdacht einseitiger Seichtigkeit<br />

erhaben. Mit seinen 36 Jahren hat er alle<br />

Stationen absolviert, die es für eine Weltkarriere<br />

braucht. Er konzertiert mit<br />

Martha Argerich, dem Quatuor Ebène<br />

und den Wiener Philharmonikern. Seine<br />

Diskografie zeugt von seiner Liebe zur Kammermusik, es finden<br />

sich aber auch die Cellokonzerte von Haydn, Schostakowitsch und<br />

Lutosławski darin. Kurz, Capuçon kann es sich leisten, ein Album<br />

nur mit Lieblingsstücken herauszubringen. „Intuition“ erscheint im<br />

Februar und präsentiert gleichsam auf dem Silbertablett, dramaturgisch<br />

lose gefügt, lauter cellistische Pralinen: Salut d’amour von<br />

Elgar ist dabei und die Vocalise von Rachmaninow, der Schwan und<br />

Thaïs, aber auch Musik von Scott Joplin und Piazzolla.<br />

„Die Auswahl ist ganz und gar persönlich“, sagt Capuçon an<br />

einem Wintermorgen beim Interview in der Hamburger Speicherstadt,<br />

er kommt gerade aus Paris. „Ich habe schon jahrelang davon<br />

geträumt, eine Platte mit Charakterstücken zu machen und damit<br />

eine Geschichte zu erzählen – oder eigentlich mehrere Geschichten.<br />

Aus meiner Kindheit, meinen frühen Pariser Jahren mit meinem<br />

Lehrer Philippe Muller oder meiner Studentenzeit in Wien.“ Der<br />

zierliche Mann versinkt fast hinter dem riesigen Holztisch, doch<br />

wendet er sich seinem Gegenüber auf diese geschmeidige Weise zu,<br />

die in Deutschland das Etikett französischer Höflichkeit trägt. Alle<br />

paar Sekunden kämmt er sein kinnlanges schwarzes Haar mit den<br />

Fingern zurück zum Eisenherz-Haarhelm.<br />

Capuçons Biografie wirkt, als folge sie einem geheimen Bauplan.<br />

Der Mann mit dem Ritternamen und der Ritterfrisur stammt<br />

aus Chambéry in den Alpen, das im Mittelalter Sitz der Herzöge<br />

von Savoyen war. Geprägt haben ihn die Bergwelt und ein offenkundig<br />

glückliches Familienleben voller Musik. Als Gautier mit vier<br />

Jahren zum Cello griff, waren die zehn Jahre ältere Schwester Aude<br />

am Klavier und der fünf Jahre ältere Bruder Renaud an der Geige<br />

„WENN ICH SECHS STUNDEN<br />

GEÜBT HATTE, HAT MEINE<br />

MUTTER ANGEDEUTET,<br />

DASS ES AUCH NOCH MEHR<br />

HÄTTEN SEIN KÖNNEN“<br />

schon fortgeschritten. Ein stärkerer Antrieb für den Jüngsten lässt<br />

sich kaum denken. Aude gab das Klavierspielen später auf, die beiden<br />

Brüder jedoch entwickelten sich kometenhaft. „Meine Eltern<br />

haben uns nie gezwungen“, erzählt Capuçon, „aber wenn ich sechs<br />

Stunden geübt hatte, hat meine Mutter durchaus angedeutet, dass es<br />

auch noch mehr hätten sein können.“<br />

Hübsch, die Geschichte vom Brüder-Duo.<br />

Und dem Fortkommen dienlich.<br />

Ihr Paradestück ist das Doppelkonzert<br />

von Brahms, den Anschluss an den<br />

Älteren hat Gautier früh geschafft. An<br />

seine Lehrer erinnert er sich: „Sie haben<br />

sich enorm für mich eingesetzt. Statt<br />

mich nach ihrem Bild zu formen, haben<br />

sie mir geholfen, ich selbst zu werden.“<br />

Mit 14 Jahren wechselt er nach Paris zu<br />

Philippe Muller, mit 16 zieht er ganz in<br />

die Hauptstadt. „Das Studentenleben<br />

habe ich aber erst in Wien kennengelernt“,<br />

erzählt er. „Ich ging mit Freunden<br />

feiern und hörte Musik von Scott Joplin.“<br />

Sein Lehrer dort war Heinrich<br />

Schiff, wie Philippe Muller ein Schüler<br />

des legendären André Navarra, der mit<br />

seinem singenden Ton und einer spieltechnischen<br />

Beherrschung bis ins<br />

kleinste Detail Generationen von Cellisten<br />

geprägt hat.<br />

Vielleicht ist es kein Zufall, dass<br />

Capuçon sich beim Spielen ähnlich kreatürlich<br />

gibt wie einst der ungezähmte<br />

Heinrich Schiff. Seine Miene ist in einem<br />

Zustand der Dauerexpressivität. Er<br />

schnauft und stülpt die Lippen vor, er schickt dem Dirigenten flehentliche<br />

oder auch zornige Blicke, je nach Affekt. Andererseits<br />

überlässt er in der Musik selbst nichts dem Moment. Phrasierungen<br />

und Übergänge sind schlüssig, aber es ist zu hören, dass er jedes<br />

Detail bewusst setzt. Seine Palette reicht vom verhangenen Après un<br />

rêve von Fauré über das Flirren des Popper’schen Elfentanzes bis zu<br />

einem fast bruitistischen Zugriff bei Piazzollas Grand tango. Der<br />

Bogen kontrolliert die Saiten seines Goffriller-Cellos, ohne sie je<br />

freizulassen.<br />

Genauso unfehlbar ist seine Außendarstellung. Kein Skandal,<br />

nirgends. Stattdessen schwärmt er von seinen beiden Töchtern. Als<br />

ihn eine Fernsehjournalistin einmal fragte, wen er, wenn er es<br />

bestimmen könnte, auf einem Geldschein verewigen ließe, erwiderte<br />

er: „meine Frau“. Sogar dass er vor Jahren mit einem Burn-out<br />

zu kämpfen hatte, erzählt er leichthin – liegt so eine Krise länger<br />

zurück, ist sie nicht mehr karrieregefährdend, sondern interessant.<br />

Er habe sie allein durchgestanden, sagt Capuçon. Es habe sie niemand<br />

außer ihm selbst bemerkt. Er mache jetzt wieder Sport, achte<br />

auf seinen Schlaf und meditiere regelmäßig: „In der Rückschau ist<br />

es genial. Ich bin an meine Grenzen gekommen, aber diese Erfahrung<br />

hat es mir auf lange Sicht ermöglicht, noch weiterzugehen.“<br />

Ein Resultat dieser Transformation ist das<br />

Album „Intuition“. So nahtlos fügen sich die<br />

Dinge im Leben des Gautier Capuçon. ■<br />

„Intuition“, Gautier Capuçon (Erato)<br />

Termine: 17.3. Elmau, Schloss; 20.3. Hamburg, Elbphilharmonie<br />

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