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CRESCENDO 1/18 Januar-März 2018

CRESCENDO - das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Sonya Yoncheva, Paavo Järvi, Evelyn Glennie und Gauthier Capuçon.

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Interviews unter anderem mit Sonya Yoncheva, Paavo Järvi, Evelyn Glennie und Gauthier Capuçon.

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H O P E T R I F F T<br />

Daniel-Hope-Kolumne<br />

KEINE AMERIKANISCHEN<br />

VERHÄLTNISSE, BITTE!<br />

Daniel Hope im Gespräch mit Oboist Albrecht Mayer über Hochkultur,<br />

Meinungsfreiheit und den Umgang mit Kritik.<br />

Daniel Hope: Neulich wurde ich im Flugzeug<br />

von einem plastischen Chirurgen<br />

angesprochen. Er erzählte mir, dass deine<br />

Musik ihn so inspirieren würde, dass er<br />

immer dazu arbeitet. Durch dein letztes<br />

Album hätte er die schönsten Lippen seines<br />

Lebens gebaut. Was bedeuten dir solche<br />

Komplimente?<br />

Albrecht Mayer: Das ist ein sehr schönes<br />

Kompliment. In einer Zeit, in der sich das<br />

Gefühl für und die Kenntnis um die klassische<br />

Musik stark verändert haben, versuche<br />

ich, nicht nur für Menschen Musik zu<br />

machen, die klassische Musik über alles lieben<br />

und sich bestens auskennen, sondern<br />

auch für Menschen, die sich vielleicht nach<br />

der Arbeit, nach der Schule oder dem<br />

Kochen einfach nur entspannen wollen, die<br />

von Klassik gar keine Ahnung haben.<br />

Es ist en vogue, über den Zustand der klassischen<br />

Musik zu sprechen; oft werden<br />

große Schwierigkeiten prophezeit …<br />

Glücklicherweise haben wir beide keine Probleme,<br />

große Säle zu füllen. Aber wenn ich<br />

sehe, dass der meiste Musikunterricht in<br />

Deutschland entweder stark eingeschränkt<br />

ist oder gleich ganz ausfällt, macht mir das<br />

Sorgen. Auf der anderen Seite erlebe ich auf<br />

meinen Auslandsreisen zum Beispiel in<br />

Japan, China oder – um ein krasses Beispiel<br />

zu bringen – in der Türkei volle Säle mit jungen<br />

Leuten, die großen Spaß an der klassischen<br />

Musik haben – ein Gegensatz zu unserem<br />

Abonnementpublikum mit oft sehr reifen<br />

Menschen, die sich hochpreisige Tickets<br />

leisten können. Ich frage mich, ob wir nicht<br />

ein kleines bisschen umdenken sollten. Wir<br />

wissen, dass Deutschland eigentlich ein<br />

Hochkulturland ist und vor allem war. Es<br />

Daniel Hope und Albrecht Mayer mit<br />

Rachel Harnisch und Sebastian Knauer beim<br />

Neujahrskonzert 2017/<strong>18</strong> in Zürich<br />

wäre schade, wenn wir amerikanische Verhältnisse<br />

einreißen ließen, in denen Musik<br />

einem sehr kleinen, elitären Kreis vorbehalten<br />

bleibt.<br />

In unserem gemeinsamen Silvesterkonzert<br />

hast du eine fantastische Paraphrase von<br />

Klemcke über eine Donizetti-Arie gespielt.<br />

Wie wichtig ist es dir, das Repertoire für<br />

die Oboe zu erweitern?<br />

Einerseits gibt es ein riesiges Repertoire für<br />

die Oboe. Allein das <strong>18</strong>. Jahrhundert hat so<br />

viele Oboenkonzerte hervorgebracht wie für<br />

Flöte, Klarinette, Trompete, Bratsche und<br />

Horn zusammen. So viele Originalwerke, die<br />

nur darauf warten, gespielt zu werden!<br />

Andererseits gibt es viele Stücke, die<br />

irgendwo liegen und nicht gespielt werden.<br />

Ohnehin sind da nicht so viele reisende,<br />

konzertierende Oboisten auf dem Markt und<br />

die werden meistens eben doch für das<br />

Strauss- oder Mozart-Oboenkonzert oder<br />

das Bach-Doppelkonzert mit Geige angefragt.<br />

Das ist schade, denn das Repertoire ist<br />

unerschöpflich – in allen Epochen!<br />

Du hast neulich mit I Musici di Roma eine<br />

fantastische Tournee gemacht. Trotzdem<br />

wurde in einer Kritik nur über deine<br />

Schuhe berichtet.<br />

Journalisten haben Gott sei Dank in<br />

Deutschland noch eine gewisse Meinungsfreiheit.<br />

Trotzdem spiegelt das, was in Kritiken<br />

geschrieben wird, weder das wider, was<br />

im Konzert an Spannung oder Stimmung<br />

spürbar war, noch die Meinung des Publikums.<br />

Bei 2.500 Leuten in einer ausverkauften<br />

Berliner Philharmonie, die vielleicht<br />

begeistert waren, kann der Kritiker vorher<br />

etwas Schlechtes gegessen haben, und es<br />

gefällt ihm nicht. Das lesen dann 50.000<br />

Leute, die nicht im Konzert waren, und denken:<br />

„Das war aber ein grauenhaftes Konzert.“<br />

Man darf nicht erwarten, dass eine<br />

Kritik ein Abbild des Konzerts ist!<br />

Ist es erlaubt, dass ein Künstler auf eine<br />

Kritik – zum Beispiel als Kommentar auf<br />

seiner Website – reagiert?<br />

Da bin ich konservativ und hatte auch viel<br />

Glück in meinem Leben. Trotzdem muss<br />

jeder von uns auch mal eine schlechte Kritik<br />

einstecken. Und wir müssen uns eingestehen,<br />

dass nicht jedes Konzert gleich gut ist,<br />

das wäre unmenschlich. Wenn eine Kritik<br />

nicht beleidigend wird, würde ich darauf<br />

nicht reagieren. Bei Beleidigungen würde ich<br />

wohl andere Maßnahmen ergreifen. Ich<br />

würde nicht selbst antworten, es gibt genügend<br />

Fans, die leidenschaftlich für mich in<br />

die Bresche sprängen.<br />

Dein Rat für einen jungen talentierten<br />

Oboisten am Karrierebeginn?<br />

Offensichtlich ist es nur wenigen vergönnt,<br />

ein solistisches Leben als Oboist zu haben.<br />

Deshalb sollen sie ihr ganzes Herzblut und<br />

ihre Leidensfähigkeit zusammenraffen und<br />

so viel arbeiten, wie es geht! Und auf den Zug<br />

aufspringen, wenn er vorbeifährt! n<br />

ZEICHNUNG: STEFAN STEITZ<br />

FOTO: DANIEL HOPE, PRIVAT<br />

82 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>18</strong>

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