… und Standespolitik wirkt doch, Kammerwahl 2020
Ausgabe 6/2020
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Sonderthema 17<br />
Foto: privat<br />
Zu Beginn dieser Krise waren alle<br />
unsere Patienten verunsichert, es<br />
gab die Verschwörungs-Theoretiker,<br />
die entspannten Aufgeklärten <strong>und</strong><br />
die Verweigerer. Wir hatten alle davon.<br />
Von einer Woche auf die andere<br />
hatten wir plötzlich nichts mehr<br />
zu tun. Das Telefon klingelte nicht mehr, die Patienten<br />
kamen nicht zum vereinbarten Termin. Lediglich<br />
unsere begonnenen Behandlungen wurden zu Ende<br />
geführt. Meine PZR-Mitarbeiterinnen hatten nichts<br />
mehr zu tun <strong>und</strong> die Auszubildenden im 3. Lehrjahr<br />
keine Schule mehr. Es herrschte Stillstand, Ratlosigkeit<br />
<strong>und</strong> auch Angst. Da es zu diesem Zeitpunkt,<br />
Mitte März, noch keine haltbaren Verhaltensregeln<br />
seitens der KZV gab, waren wir auf uns alleine gestellt.<br />
Wir beschlossen auf Notfallbehandlung in der<br />
Praxis umzustellen <strong>und</strong> darüber hinaus telefonische<br />
Erreichbarkeit den ganzen Tag. Unsere Praxiskapazität<br />
wurde von 100 Prozent auf 5 Prozent zwangsweimieren<br />
<strong>und</strong> privat nutzte ich die Zeit, um z. B. meine<br />
im Keller über 25 Jahre schlummernde Trompete<br />
zum Leben zu erwecken <strong>und</strong> die Nachbarn zu „erfreuen“.<br />
Auch hatte ich endlich einmal Zeit, mit den<br />
Nachbarn Gespräche zu führen.<br />
Seit Januar ist das Zentrallager meines Dentaldepots<br />
überfordert. Es war wie Weihnachten <strong>und</strong><br />
Geburtstag zusammen, als ich im April eine große<br />
Lieferung Handschuhe bekam. Leider wurde mir im<br />
April meine im Januar erfolgte Bestellung von M<strong>und</strong>-<br />
Nasen-Schutz ersatzlos gestrichen.<br />
Inzwischen habe ich über einen Chinahandel FFP2-<br />
Masken bekommen. Die bei einem Supermarkt Ende<br />
März bestellten FFP3-Masken hängen noch an der<br />
holländischen Grenze (oder wo auch immer) fest.<br />
Meine Mitarbeiterinnen <strong>und</strong> ich behandeln inzwischen<br />
mit FFP2-Masken <strong>und</strong> tragen zusätzlich über<br />
Schutzbrillen ein Schutzschild.<br />
Das Wartezimmer war zwischenzeitlich einige Wochen<br />
das „Spiel- <strong>und</strong> Lernzimmer“ für die Kinder einer<br />
Mitarbeiterin, welche jetzt in der „Notbetreuung“<br />
sind.<br />
Die Patienten lesen die Krankenversichertenkarte<br />
selbständig ein <strong>und</strong> desinfizieren nach Eintreten <strong>und</strong><br />
vor dem Verlassen der Praxis die Hände. Sie werden,<br />
wenn möglich, direkt ins Behandlungszimmer<br />
gesetzt. Im Wartezimmer wartet, wenn überhaupt,<br />
nur ein Patient oder eine Familie.<br />
Da wir in unserer Zahnarztpraxis schon immer einen<br />
hohen Hygienestandard vorweisen, bzw. bisher<br />
schon alle Patienten so behandelt haben, als wären<br />
sie „hochinfektiös“, hat sich nicht so viel für uns verändert.<br />
Der Gesprächsstoff mit den Patienten hat<br />
sich verändert.<br />
Wir hoffen sehr, dass es bald Schutzausrüstung zu<br />
„vor Coronazeit“-vernünftigen Preisen gibt.<br />
Praxismanagerin Jutta Barsch berichtet aus der Praxis<br />
Dr. Ulf Barsch in Bietigheim-Bissingen:<br />
se zurückgefahren. Alle geplanten Termine haben wir<br />
bis Anfang Mai verschoben. Manche Patienten, die<br />
zu uns kamen, da sie Beschwerden oder dergleichen<br />
hatten, behandelten uns als wären wir giftig, totale<br />
Ablehnung, als wenn wir die Krankheitsüberbringer<br />
wären.<br />
Wir hatten jeden Montag Krisen-Teambesprechung<br />
<strong>und</strong> planten dann die Arbeitstage durch. Unsere Azubis<br />
durften bei uns im Büro lernen, da sie zuhause<br />
keine Ruhe hatten, da beide jüngere Geschwister<br />
haben. Wir lernten zusammen <strong>und</strong> versuchten auch<br />
diese Aufgabe zu meistern.<br />
Unsere Materialbestände sind meistens gut gefüllt,<br />
sodass wir nicht in die Notlage kamen, keine<br />
Schutzausrüstung mehr zu haben. Lediglich die<br />
FFP2-Masken waren nicht zu bekommen, was aber<br />
nicht besonders schlimm war, denn es kamen ja eh<br />
keine Patienten. Wir bestellten 100 FFP2-Masken zu<br />
900 Euro bei unserem Großhändler <strong>und</strong> bekamen<br />
diese auch recht zügig geliefert. Wir bestellten kontinuierlich<br />
unsere Schutzausrüstung nach, da sich die<br />
Lieferzeiten auf ungewisse Zeit hinauszögerten. Es<br />
gibt Material u. a. Händedesinfektion, das bis heute<br />
im Rückstand ist. Wir hatten aber immer genügend<br />
Toilettenpapier zu Verfügung.<br />
Wir bekamen tägliche Mails von der Kammer <strong>und</strong><br />
der KZV, wie wir uns verhalten sollen, was nicht<br />
immer beruhigend oder gar aussagefähig war. Der<br />
Höhepunkt war dann Ostern mit dem Hinweis des<br />
Berufsverbotes. Ich denke, dies ist auch der Gr<strong>und</strong>,<br />
warum die Patienten so verunsichert sind. Unsere<br />
Termin-Patienten werden alle angerufen <strong>und</strong> persönlich<br />
aufgeklärt, über die Notwendigkeit <strong>und</strong> ob die<br />
Behandlung stattfinden soll.<br />
Unsere Praxis wurde Corona-tauglich umfunktioniert,<br />
die Patienten müssen zuerst Hände waschen<br />
<strong>und</strong> desinfizieren, bevor sie im Wartezimmer mit ihrem<br />
M<strong>und</strong>schutz Platz nehmen. Des Weiteren müssen<br />
sie uns einen Fragebogen ausfüllen, damit wir<br />
ihren Ges<strong>und</strong>heitszustand einschätzen können. Die<br />
Rezeption wurde mit einer Plexiglasscheibe abgetrennt.<br />
Händeschütteln zur Begrüßung <strong>und</strong> Verabschiedung<br />
wurde gleich abgeschafft. Das Tragen des<br />
M<strong>und</strong>-Nasen-Schutz für die Mitarbeiter ist mittlerweile<br />
auch im Rezeptionsbereich Pflicht, im Behandlungszimmer<br />
wurde dies schon vor einigen Wochen<br />
eingeführt. Mittlerweile kommen die ersten Patienten<br />
in die Praxis, die eine COVID-19 Erkrankung<br />
überstanden haben, negativ getestet sind <strong>und</strong> eine<br />
Behandlung brauchen.<br />
Nach jeder überstandenen Woche bin ich sehr<br />
froh, dass wir alle ges<strong>und</strong> geblieben sind <strong>und</strong> dass<br />
wir die Woche geschafft haben. Die große Unsicherheit<br />
wie alles weitergeht, bestimmt unseren Alltag<br />
<strong>und</strong> die Sorgen darüber. Dies wird sicherlich ein<br />
schwieriges Jahr <strong>und</strong> ich hoffe wir werden es ges<strong>und</strong><br />
überstehen.<br />
Ich werde ein Corona-Tagebuch schreiben, um alle<br />
Ereignisse <strong>und</strong> Eindrücke festzuhalten, die mich in<br />
diesen Wochen umgeben. Es ist wie eine Irrfahrt, die<br />
keinen Ausstieg hat <strong>und</strong> kein Ende in Sicht. Eine un-<br />
www.zahnaerzteblatt.de<br />
ZBW 6/<strong>2020</strong>