Nicht nur eine Firmenchronik... - Flükiger & Co AG
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98<br />
1855<br />
Bern, den 13. Februar 1855<br />
Herrn Herrn gemeind raths-Präsident löffel in Oberburg.<br />
Herr gemeinderaths-Präsident von Oberburg!<br />
Geehrter Herr!<br />
In die traurige Lage durch m<strong>eine</strong> eigenen Kinder gesetzt, nehme ich m<strong>eine</strong> Zuflucht zu Ihnen, in der<br />
sichern Hoffnung, dass Sie <strong>eine</strong>r hülflosen, schwachen, kränklichen und alten Wittwe gewiss mit Ihrem<br />
gütigen Beistande hülfreich an die Hand gehen werden.<br />
Wie ich Ihnen schon öfters meldete, wer der Urheber m<strong>eine</strong>r grössten Leiden in m<strong>eine</strong>m jetzigen vorgerückten<br />
Alter sei, so muss ich es Ihnen auch diesmal gestehen, dass es mein Sohn Gottlieb und m<strong>eine</strong><br />
Tochter Marianne, sind. Ersterer benimmt sich von Tag zu Tag ärger, unbändiger und gottsvergessener<br />
in allen Theilen gegen mich. Wollte ich Ihnen sein gottloses Betragen gegen mich <strong>nur</strong> einigermassen<br />
ausführlich schildern, ich finde nicht Raum genug.<br />
Zum Beispiel führe ich Ihnen an, dass er letzten Sonntag während man mich kämmte mit geballten<br />
Fäusten vor mich trat und gleich <strong>eine</strong>m Mörder und Räuber drohend Geld von mir verlangte. Und als<br />
ich ihm solches nicht nach s<strong>eine</strong>r Habgier gab, versetzte er mir Streiche, wie dies übrigens nicht zum<br />
erstenmal geschah. Ja, sogar m<strong>eine</strong>n treuen Arbeiter sucht er auf alle mögliche Weise zu vertreiben,<br />
indem er ihm nicht handbieten will, den kl<strong>eine</strong>n Betrag der Schleife, womit ich in dieser theuren Zeit<br />
m<strong>eine</strong> grosse Familie durchschlagen muss, zu bestehlen.<br />
M<strong>eine</strong> Tochter, Marianne, der soll ich gar nichts mehr befehlen, sie macht was sie will, geht hin wo es<br />
ihr beliebt, kommt nach Gutdünken und sage ich ihr irgend etwas, ermahne sie auf bessere Wege, so<br />
hängt sie mir auf der Stelle ihr unverschämtes, lasterhaftes und gottloses Maul an, dass ich, um die<br />
ganze Nachbarschaft in Alarm zu setzen, schweigen muss, und so m<strong>eine</strong>n eigenen Kummer heimlich<br />
unterdrücken muss. Vor den Herren der Gemeinde fürchte sie sich so wenig als vor <strong>eine</strong>m Kinde, die<br />
sollen <strong>nur</strong> nach Bern kommen, denen wolle sie mit guten Worten aufwarten. Aus diesem Allem werden<br />
Sie, geehrte Herren, wohl ersehen, dass es mir rein unmöglich ist, es bei diesen Kindern auszuhalten,<br />
in wofern ich Sie um baldigste und enorme Abhülfe dringend ersuche. Nach m<strong>eine</strong>r Überzeugung würde<br />
es das Beste sein, sie unter fremde Leute in Umgang zu bringen, damit sie auch einst lernen, was<br />
fremdes Brot essen heisst. Sie werden auf der Gemeinde Ihnen gewiss Arbeit zuzuhaben wissen, und<br />
sie <strong>eine</strong> andere Redensart lernen können. Im Fall <strong>eine</strong>r der Herren der Gemeinde nächstens nach Bern<br />
kommt, so möchte ich Sie dringend ersucht haben, mich zu besuchen, damit ich mich mit den Herren<br />
mündlich und ausführlich besprechen könnt und damit ich bald möglichst von m<strong>eine</strong>r unglücklichen<br />
Lage befreit werde. In Erwartung, dass Sie m<strong>eine</strong>m Wunsche in Kürze entsprechen werden, verharret<br />
mit freundlicher Ergebenheit<br />
Ihre Frau Wittwe Mahler, Schleifer.<br />
A. Lüscher, Ihr Gross-Sohn