Komplette Ausgabe 2010 - synpannier
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Natascha Zowislo-Grünewald & Jürgen Schulz _ Wie viel Transparenz braucht / verträgt die Unternehmenskommunikation?<br />
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der Moment, in dem die Forderung nach immer mehr<br />
Transparenz laut wird; somit ist der Ruf nach mehr<br />
Transparenz von Anfang an direkt an negative Kontexte<br />
gebunden und Ausdruck aufkeimenden oder veritablen<br />
Misstrauens. Dies hat Konsequenzen für die Vermittlung<br />
von Vertrauen, besonders wenn Transparenz als probates<br />
Mittel für die Kommunikation mit den Stakeholden des<br />
Unternehmens als Lösung des Vertrauensproblems im<br />
Raume steht.<br />
Transparenz als Risiko für die<br />
Unternehmenskommunikation<br />
Über den Sinn von Transparenzforderungen an<br />
Unternehmen<br />
Die Vertrauensdebatte neueren Datums, so Freitag,<br />
beschäftigt sich vor allem mit der Senkung von Transaktionskosten<br />
bei Marktprozessen; Informationsgewinnung,<br />
-überprüfung und -verarbeitung sowie Folgekosten<br />
(Verhandlungs- und Durchsetzungskosten) (Freitag,<br />
2009). Fukuyama (1995) beschreibt Misstrauen als eine<br />
Art Steuer, mit der wirtschaftliches Handeln belegt wird.<br />
Das Missverständnis neueren Datums drückt sich aus im<br />
Buch der Unternehmensberater Eccles und di Piazza,<br />
die nach Skandalen um Worldcom und Enron im Jahr<br />
2003 ein Buch mit dem Titel Vertrauen durch Transparenz<br />
veröffentlichten (im Original: Building Public Trust). Im<br />
Kontext der jüngsten Ereignisse in Wirtschaft und Gesellschaft<br />
scheint es tatsächlich keine andere Option zu<br />
geben, um mit der Vertrauenskrise zurechtzukommen.<br />
Wenn Vertrauen in Organisationen wegbricht, scheint<br />
der Zugang zu Information der einzig gangbare Weg<br />
zu sein, um das Funktionieren von Organisationen und<br />
Prozessen aufrecht zu erhalten, indem man sie der individuellen<br />
Kontrolle anheim stellt. Wo alle Information<br />
zur Verfügung steht, bleibt kein Raum für Misstrauen.<br />
Mehr Information heißt – verstanden als normativer, der<br />
Transparenz zugeschriebener Wert – ein Ersatz für blindes<br />
Vertrauen, das Zeit braucht – Zeit, die Unternehmen<br />
nicht haben.<br />
Systemvertrauen definiert seine soziale Funktion allerdings<br />
gerade durch das willentliche Vernachlässigen<br />
von Information, um einen höheren Grad an Ordnung<br />
zu erreichen statt den Ruf nach Transparenz immer<br />
weiter auszudehnen. Daher ist es ein Trugschluss, aus<br />
erhöhter Transparenz Vertrauen ableiten zu wollen, da<br />
das Konzept Vertrauen selbst hierbei obsolet wird. Die<br />
Erhältlichkeit von umfassender Information verbannt<br />
Vertrauen aus der Interaktionsgleichung und somit aus<br />
dem Prozess der Entscheidungsfindung. Die Nachfrage<br />
nach Vertrauen ist immer abhängig von der Verfügbarkeit<br />
funktionaler Äquivalente (Luhmann, 1968, 38, 117).<br />
<strong>Komplette</strong> Information schiebt Vertrauen zur Seite, da<br />
die Anspruchsgruppen von Unternehmen – Konsumenten,<br />
Investoren usw. – im Lichte vorhandener Informationen<br />
geradezu gezwungen werden, diese zu berücksichtigen.<br />
Nur mittels deren Verwendung kann ein Stakeholder<br />
letztlich rational vor sich Interaktion mit dem betroffenen<br />
Unternehmen rechtfertigen, besonders wenn die vorherrschende<br />
Tendenz innerhalb des jeweiligen Umfeldes<br />
ohnehin die des Misstrauens ist.<br />
Das Dilemma auf Seiten der Rezipienten / Stakeholder:<br />
Die nahe liegende Lösung des Vertrauensproblems verstärkt<br />
dieses zugleich, da diese den Bedarf an Vertrauen<br />
reduziert. Die Situation wird dadurch verschärft, dass<br />
das kommunikative Angebot an transparenter Information<br />
– ausgelöst durch die jüngsten Ereignisse – immer<br />
größer wird; es scheint unverantwortlich, dieses nicht zu<br />
nutzen. Systemvertrauen wird verdrängt. Es ist jedoch<br />
eine Illusion, das Aufheben der Unsicherheit im Sinne<br />
risikobehafteter Entscheidungssituationen von mehr<br />
Kommunikation zu erwarten (Luhmann, 1991, 121). Im<br />
Gegenteil: Die Möglichkeit scheint umso mehr verloren<br />
zu gehen, Zugang zum Phänomen des komplexitätsreduziernden<br />
Vertrauens zu finden, je mehr Zugang zu neuer,<br />
nicht bereits erwartbarer und damit systematisierfähiger<br />
Information Unternehmen ihren Stakeholdern bieten<br />
(Endress, 2002, 7). »Trust is in danger of becoming<br />
an insignificant sociological concept, one that is easily<br />
sub-sumed under decision-making or exchange theories<br />
[…].« (Möllering, 2001, 417)<br />
Das Dilemma auf Seiten der Kommunikatoren: Wirklich<br />
relevante Fakten, die nicht ohnehin standardmäßig kommuniziert<br />
werden müssen und dennoch im Interesse der<br />
Stakeholder des Unternehmens transparent dargestellt<br />
werden müssten, sind a priori meistens nicht von irrelevanten<br />
Informationen zu unterscheiden – wie uns jede<br />
Krise lehrt, bei der kein böswilliges unternehmerisches<br />
Verschulden präjudiziert werden kann, das einen nachhaltigen<br />
Vertrauensverlust billigend in Kauf genommen<br />
hätte. Eine objektive Norm für a priori-Transparenzkriterien,<br />
die den Informationsüberfluss steuern helfen, kann<br />
kaum definiert werden. Neue Kriterien für unternehmerische<br />
Transparenz entstehen immer aus konkreten Fällen<br />
und der nachträglichen Reaktion seitens der relevanten,<br />
die sich in Misstrauen und daher im Verlangen nach<br />
mehr Transparenz äußert.<br />
Die theoretische Prämisse – nämlich das in der Transparenz<br />
der Kern von (erneuertem) Vertrauen liege – wird<br />
mehr als fraglich. Aus Erkenntnissen der Systemtheorie<br />
(Luhmann, 1984), aber auch der Soziologie (Coleman,<br />
1986) oder der Ökonomie (Rational Choice) lässt sich herleiten,<br />
dass das Verlangen nach mehr Transparenz immer<br />
das Resultat aktueller Unsicherheit und von Misstrauen<br />
ist; Transparenz wird zum Kontrollmechanismus (vergleiche<br />
Shakespeares Othello; Gambetta, 1988, 233f ),