Komplette Ausgabe 2010 - synpannier
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Larissa Krainer _ Wege aus der Krise – mit Medienethik zur kollektiven Systemreflexion<br />
39 |<br />
wenn die Weltpolitik von der Wirtschaft tatsächlich auf<br />
die Zuschauertribüne der Rahmengesetzgebung verbannt<br />
wurde, so erscheinen mir zwei Reaktionen unabdingbar:<br />
Journalismus muss sich stärker als kritische Instanz gegenüber<br />
dem dominanten (technisch-ökonomischen)<br />
Modell begreifen, wenn er nicht selbst auf der Schlachtbank<br />
der Rationalisierung um jeden Preis enden will und<br />
er muss sich für eine Reetablierung des Politischen im<br />
Sinne demokratischer Gestaltungsprinzipien engagieren,<br />
wenn wir uns darauf verständigen können, dass wir solche<br />
Prinzipien noch wollen. Eines sollte uns allerdings bewusst<br />
sein: Nur zu funktionierenden Demokratien gehört<br />
auch eine freie und pluralistische Medienlandschaft.<br />
Dem widerspricht allerdings das dominante Selbstbild<br />
von JournalistInnen, das nach wie vor geprägt ist von einem<br />
Verständnis des Journalismus als kritische Instanz<br />
der Politik (was historisch auch verständlich ist). Das<br />
lässt sich etwa einer qualitativen Forschung entnehmen,<br />
in der das Verhältnis von »Medien und Nachhaltigkeit«<br />
untersucht wurde. Dazu wurden Österreichische JournalistInnen<br />
aus unterschiedlichen Medien (regional/<br />
national, privatwirtschaftlich/öffentlich-rechtlich/nicht<br />
kommerziell, Print/Rundfunk/Fernsehen etc.) im Rahmen<br />
von qualitativen Interviews zu ihrem Verständnis<br />
von Nachhaltigkeit befragt. Dabei hat sich (neben einer<br />
enorm breiten Begriffspluralität) gezeigt, dass das journalistische<br />
Handeln selbst als eine demokratiepolitisch<br />
wichtige – und damit nachhaltige – Instanz begriffen wird<br />
und dass die journalistische Funktion der Kontrollinstanz<br />
nach wie vor primär gegenüber der Politik gesehen wird<br />
(Krainer/Hipfl/Pirker/Terkl 2009). Dies kann als<br />
traditionelles Verständnis von Journalismus betrachtet<br />
werden, das der Gegenüberstellung folgt: Hier die Politik,<br />
da die kritischen Medien, die politisches Handeln beobachten,<br />
beschreiben, hinterfragen, kritisieren, kommentieren<br />
– nach wie vor auch dem Gedanken verpflichtet,<br />
eine breite und wahlunterstützende Informationsbasis für<br />
RezipientInnen anzubieten.<br />
In Anbetracht der Machtverschiebung von Politik zu<br />
Ökonomie (das technologische Problem spare ich hier<br />
aus Platzgründen hier aus) ist derzeit weitgehend offen,<br />
wer eigentlich die innere Funktionslogik des modernen<br />
Kapitalismus, seiner Verschiebung von der Realwirtschaft<br />
zur Finanzwirtschaft und allen ihren krisenhaften<br />
und bedrohlichen Konsequenzen (vor allem für Sozialstaaten,<br />
öffentliche Güter, Gemeinwohl etc.) mit einer<br />
Transparenz versieht, die es auch nicht wirtschaftswissenschaftlich<br />
gebildeten Menschen ermöglicht, die äußerst<br />
komplexen Zusammenhänge zu verstehen, zu denken, zu<br />
kritisieren, sich zu organisieren und letztlich politische<br />
Entscheidungen zu treffen, die nicht nur das politische,<br />
sondern auch das ökonomische System reflektieren.<br />
Damit ist zugleich die Frage nach der öffentlichen Aufgabe<br />
der Medien neu zu stellen und ist ferner zu fragen,<br />
wie ein Mediensystem strukturell zu gestalten wäre, damit<br />
es sich als Differenzsystem (über die Politik hinaus)<br />
zur Ökonomie überhaupt etablieren kann. Ihre innere<br />
ökonomische Durchdrungenheit, die wir ja zu Beginn<br />
schon ausführlich betrauert haben, wird es ihnen nicht<br />
erleichtern.<br />
Erschwert wird es ferner dadurch, dass die Leitmedien<br />
nahezu durchgängig zu Wirtschaftsunternehmen und<br />
damit selbst Teil der ökonomischen Logik geworden sind<br />
(was durchaus häufig beklagt wird). Und selbst dort, wo<br />
(politische) Überlegungen laut werden, den öffentlichen<br />
Rundfunkt werbefrei zu gestalten, übertönen die Proteste<br />
von allen Seiten die Vorhaben, wie in Frankreich, wo das<br />
Vorhaben von Nicolas Sarkozy, öffentlich-rechtliche<br />
Sender bis 2012 werbefrei zu machen, selbst von jenen<br />
kritisiert wurde, die selbst Ähnliches gefordert hatten<br />
(Brändle 2009) oder in Österreich, wo bereits präventiv<br />
argumentiert wird, dass ein werbefreier ORF nicht nur<br />
sehr hohe zusätzliche Staatskosten erzeugen würde, sondern<br />
ferner den Ruin der österreichischen Werbebranche<br />
oder zumindest eigenständiger österreichischer Werbung<br />
zur Folge haben könnte, weil österreichische Werbekampagnen<br />
ohne Aussicht auf Ausstrahlung durch den ORF<br />
mangels Sendealternativen gar keine Chance mehr hätten,<br />
überhaupt produziert zu werden. (Wirtschaftskammer<br />
2009).<br />
These 3: Auch wenn es gewagt sein mag: Wir müssen<br />
uns fragen, ob denn nicht auch die Medienethik in einer<br />
Krise steckt.<br />
Die These wurde als Frage formuliert, immerhin ist sie<br />
– jedenfalls in unserem Kreise der MedienethikerInnen –<br />
etwas heikel.<br />
Aus meiner Sicht hat es sich Medienethik – abgesehen<br />
von einigen Systematisierungen und Ausführungen im<br />
Bereich der Metaethik – primär zur Aufgabe gemacht,<br />
die inneren Zu- und Umstände des Mediensystems unter<br />
die Lupe zu nehmen, den Status Quo zu beleuchten, empirisch<br />
zu arbeiten, Menschen zu fragen, Inhalte zu analysieren,<br />
evtl. in Räten und Verbänden Urteil zu sprechen.<br />
Dies durchaus zu Recht, wie etwa die umfassende Dokumentation<br />
»Selbstkontrolle im Berufsfeld der P ublic Relations«<br />
von Horst Avenarius und Günter Bentele<br />
zeigt, die sowohl Missstände aufzeigt, als auch notwendige<br />
Reaktionen beschreibt. (Avenarius/Bentele<br />
2009) Über diverse Herausforderungen im Feld der Medienethik<br />
wurde im Rahmen unserer gemeinsamen Tagung<br />
ausführlich berichtet.<br />
Allerdings arbeitet Medienethik aus meiner Sicht<br />
bislang primär systemimmanent und bemüht sich darum,<br />
Missstände kritisch zu diskutieren und/oder normative<br />
Anforderungen für Berufsgruppen in ihrem