Komplette Ausgabe 2010 - synpannier
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Olaf Hoffjann _ Im Auftrag des Vertrauens.<br />
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Olaf Hoffjann<br />
Im Auftrag des Vertrauens.<br />
Dualisierende und entdualisierende Strategien der PR<br />
Die erste Selbstverpflichtung eines Mitgliedes der Deutschen<br />
Public Relations Gesellschaft lautet: »Ich habe wahrhaftig<br />
zu sein.« (DPRG). Während des Konfliktes um<br />
die Versenkung der Ölplattform Brent Spar 1995 hat sich<br />
Shell offenkundig daran gehalten. Shell behauptete damals,<br />
dass sich noch etwa 150 Tonnen Schadstoffe in den<br />
Tanks befänden, während Greenpeace von 5.500 Tonnen<br />
sprach. Eine Expertenkommission nannte schließlich<br />
eine Menge zwischen 74,3 und 102,7 Tonnen (vgl. Shell<br />
1995; Vorfelder 1995). Shells Darstellung war vermutlich<br />
nicht nur wahrhaftig, sondern kann – aus einer realistischen<br />
Perspektive – auch als wahr bezeichnet werden.<br />
Damit wäre aus dieser erkenntnistheoretischen Perspektive<br />
eine wichtige Voraussetzung für Vertrauen in Shell<br />
und Misstrauen gegenüber Greenpeace gegeben. »[A]<br />
däquate Wirklichkeitsrekonstruktion der PR und der<br />
Medien ist eine sozial begründete Notwendigkeit, die mit<br />
Vertrauensverlusten sanktioniert wird, wenn sie durchbrochen<br />
wird« (Bentele 2005: 158). Doch das Ende ist<br />
bekannt: Shell verlor nicht nur den Konflikt, sondern litt<br />
noch lange unter den Folgen des Brent Spar-Konfliktes.<br />
Das Beispiel zeigt, dass eine realistische Begründung von<br />
Vertrauen – jenseits aller erkenntnistheoretischen Grundsatzkritik<br />
insbesondere aus konstruktivistischer Perspektive<br />
– angesichts zahlreicher Inszenierungen auf öffentlichen,<br />
halböffentlichen und nichtöffentlichen Vorder- und<br />
Hinterbühnen unterkomplex bleibt. Offenkundig kann<br />
mit Bezug auf eine ontische Realität Vertrauen nicht<br />
ausreichend erklärt werden. Daher soll in diesem Beitrag<br />
eine alternative Perspektive gewählt werden. Erkenntnistheoretisch<br />
wird in dem Beitrag eine non-dualistische<br />
Perspektive nach Mitterer (1992, 2001) eingenommen<br />
werden. Der in der Kommunikationswissenschaft bislang<br />
wenig beachtete Ansatz (vgl. als Ausnahmen z. B. Weber<br />
2005) berücksichtigt die Vorläufigkeit und damit Kontingenz<br />
aller Beschreibungen ebenso wie die Folgen für Vertrauens-<br />
bzw. Misstrauenshandlungen. Sozialtheoretisch<br />
wird eine systemtheoretische Perspektive eingenommen.<br />
Ein solcher Standpunkt bietet sich an, weil damit die spezifische<br />
Selektivität der PR berücksichtigt wird.<br />
Um die zentrale Forschungsfrage des Beitrags – Wie<br />
schafft PR Vertrauen? – zu beantworten, wird zunächst<br />
Vertrauen in PR zu erläutern sein. Anschließend wird<br />
zwischen zwei idealtypischen Strategien der Vertrauensgewinnung<br />
unterschieden, um in einem abschließenden<br />
Fazit zu fragen, warum PR in der heutigen Gesellschaft<br />
noch mit Vertrauen rechnet.<br />
1. Vertrauen in PR<br />
Vertrauen ist ein zentraler Begriff in der PR-Forschung,<br />
bei dem schon ein inflationärer Gebrauch zu beobachten<br />
ist (vgl. Bentele 1994: 150). PR wird auch als Vertrauensexperte<br />
(vgl. Löhn/Röttger 2009) und als Vertrauensvermittler<br />
(vgl. Bentele 1994) bezeichnet. Bereits in<br />
den 50er und 60er Jahren war Vertrauen in praktizistischen<br />
Arbeiten zur PR wie bei Hundhausen (1951) oder<br />
Oeckl (1960) eine zentrale Kategorie. Vertrauen wird<br />
hier zumeist als praktische Zielvorgabe erfolgreicher PR-<br />
Arbeit genannt.<br />
Von einer ernstzunehmenden theoretisch-fundierten<br />
PR-Forschung zum Vertrauen kann erst seit den Arbeiten<br />
von Bentele gesprochen werden. Ausgehend von<br />
seiner Habilitationsschrift zum öffentlichen Vertrauen<br />
(1988, hier: 2008) hat er sich zunehmend mit Fragen von<br />
Vertrauen und PR beschäftigt (u. a. 1994). Diese Arbeiten<br />
sind bis heute zentraler Referenzpunkt für dieses<br />
Themenfeld in der deutschen und internationalen PR-<br />
Forschung. Ohne den Ansatz hier ausführlich erläutern<br />
und würdigen zu können, ist sein erkenntnistheoretisches<br />
Fundament kritisch einzuordnen, das in seiner<br />
Vertrauens theorie eine zentrale Rolle einnimmt. In letzter<br />
Konsequenz wird laut seinem Ansatz Vertrauen geschenkt,<br />
wenn Medien- bzw. PR-Realität einem Realitätscheck<br />
standhalten (vgl. Bentele 2005: 158). Bentele<br />
stellt dadurch mit der Objektivität eine Kategorie in den<br />
Mittelpunkt, deren Erreichbarkeit bzw. Überprüfbarkeit<br />
in den Kommunikationswissenschaften seit einigen Jahren<br />
aus ganz unterschiedlichen theoretischen Perspektiven<br />
in Zweifel gezogen wird.<br />
Bevor im Folgenden ein alternativer Ansatz internen<br />
und externen Vertrauens in PR vorgestellt wird, sollen<br />
zunächst kurz die vertrauenstheoretischen und PR-theoretischen<br />
Annahmen skizziert werden.<br />
Als Vertrauen soll mit Luhmann ein Mechanismus zur<br />
Reduktion sozialer Komplexität und zudem eine riskante<br />
Vorleistung verstanden werden. Luhmann spricht nur<br />
dann von Vertrauen, wenn die vertrauensvolle Erwartung<br />
bei einer Entscheidung ausschlaggebend ist (vgl.<br />
Luhmann 1989: 23f ). In modernen Gesellschaften hat<br />
sich neben personalem Vertrauen ein besonderer Vertrauenstyp<br />
ausdifferenziert: das Systemvertrauen (vgl. ebd.:<br />
50ff ). Der Erfolg des Tauschmediums Geld basiert zwar<br />
auch auf persönlichem Vertrauen – der andere könnte<br />
einem ja auch Falschgeld geben –, insbesondere aber