Komplette Ausgabe 2010 - synpannier
Komplette Ausgabe 2010 - synpannier
Komplette Ausgabe 2010 - synpannier
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Christian Schicha _ Inhaltsleere Medienrituale?<br />
135 |<br />
Medienberichterstattung. Schließlich erfolgt ihre Problemdeutungskapazität durch spezielle<br />
Techniken. Die Beteiligungs- und Austauschprozesse in der Medienöffentlichkeit<br />
sind von Vermittlungsleistungen der Medien abhängig. Sie orientieren sich dabei an<br />
den »spezifischen Bedingungen der Nachrichtenproduktion, von Nachrichtenfaktoren,<br />
Medien formaten und anderen medienspezifischen Einflüssen auf die Informationsverarbeitung«<br />
(Schulz 1998, S. 64).<br />
Nachdem bislang der Blick auf die Nachrichtensendungen und die dort vorherrschenden<br />
Selektionskriterien gerichtet worden ist, werden im folgenden Abschnitt die spezifischen<br />
Merkmale und Typen politischer Gesprächssendungen skizziert, die nicht nur<br />
argumentativen Leitlinien, sondern auch persuasiven und theatralen Mustern der Ritualisierung<br />
folgen.<br />
Politische Talkshowrituale<br />
Talkshows als Katalysatoren für politische Konstitutionsprozesse werden in der Regel live<br />
ausgestrahlt und gelten seit Jahrzehnten in Deutschland als kostengünstige Form der Information,<br />
Unterhaltung, Selbstdarstellung, Imagepflege, Karrierearbeit, Parteiwerbung,<br />
Interessenartikulation sowie Meinungsbildung (vgl. Brunst 2005, Keller 2009). Derartig<br />
inszenierte Gespräche können als kommunikative Ereignisse verstanden werden, bei<br />
denen im Rahmen eines bestimmten Sendungskonzepts Personen zusammenkommen,<br />
die für die zuschauenden Rezipienten ein Ge spräch führen. Innerhalb dieser Diskussionsform<br />
kommt es Politikern primär darauf an, ihr Handeln zu legiti mieren und für<br />
ihre Politik zu werben. Bei politischen Talkshows kann von einer sozialen Inszenierung<br />
gesprochen werden, die nicht primär er kenntnisleitend ist, sondern auf Reaktionen bei<br />
den Rezipienten zielt, um Aufmerksamkeit zu er regen, Meinungen zu provozieren und<br />
Entscheidungen zu legitimie ren. Gesprächsrunden dienen weniger dazu, eine effektive<br />
Lösung von Problemen – etwa durch Konsensbemühungen mit dem Diskussionspartner<br />
– zu erzeugen, sondern sie sind mediengerecht auf Zustimmung bei den Zu schauern hin<br />
ausgerichtet.<br />
Faktisch geht es in den Sendungen in erster Linie um eine optimale Selbstdarstellung<br />
der Beteiligten. Als Adressat der Argumente fungiert weniger der Mitdiskutant, sondern<br />
der Fernsehzuschauer. Es geht weniger um erkenntnisleitende Verständigung, sondern<br />
darum, beim potenziellen Wähler zu punkten. Dabei dokumentiert die politische Talkshow<br />
auch einen Wettkampf um die Inszenierungsdominanz gegenüber der Moderation<br />
und den Mitdiskutanten. Es wird erwartet, dass die an der Diskussion beteiligten Akteure<br />
die Regeln und Techniken der öffentlichen Selbstpräsentation beherrschen und ›gut<br />
rüberkommen‹. Neben der Vermittlung politischer Argumente sind Entertainmentqualitäten<br />
der beteiligten Protagonisten gefragt. Da nur wenige politische Vertreter über diese<br />
Fähigkeit verfügen, tauchen immer dieselben medientauglichen Diskutanten in den Debatten<br />
auf, die über hohe Selbstdarstellungs- und Unterhaltungskompetenzen verfügen.<br />
Ansonsten wird bei der Auswahl der Gesprächsteilnehmer großen Wert auf die Prominenz<br />
gelegt. »Nicht Inhalte und Lösungsorientierung, sondern einschaltquotentaugliche<br />
Köpfe [stehen] im Vordergrund.« (Schaffar 2002: 145).<br />
Die konventionelle Variante der politischen Talkshows lässt sich als gemäßigtes Streitgespräch<br />
klassifizieren (vgl. Schicha 2002). Der erste Schritt zu einer gelungenen Sendung<br />
ist die Auswahl der Teilnehmer, die möglichst aus konkurrierenden politischen