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Komplette Ausgabe 2010 - synpannier

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Inhalt Editorial Schwerpunkt Perspektiven Tagungen Rezensionen Impressum<br />

38 |<br />

beziehen oder ihre Mütter austauschen wollen, gepaart<br />

mit diversen Ratgebersendungen à la Supernanny. Zum<br />

einen lässt sich dieser neue Trend natürlich wiederum<br />

ökonomisch begründen, die Produktion solcher Serien ist<br />

vergleichsweise kostengünstig und schnell zu drehen. Mir<br />

reicht diese Begründung aber nicht aus. Wieso frage ich<br />

mich immer und immer wieder, ist plötzlich das Private<br />

und Intime so begehrt? Vor nicht zu langer Zeit waren<br />

viele von uns im Rahmen der Frauenbewegung noch dafür<br />

eingetreten, dass das Private politisch zu verstehen sei.<br />

So war es aus meiner Sicht nicht gemeint.<br />

Was, wenn wir alle einem riesigen Ablenkungsmanöver<br />

aufsitzen? Wenn es gar nicht nur um das geht, was billiger<br />

zu produzieren ist, wenn es auch gar nicht wirklich darum<br />

geht, wer im Wettlauf der PR-Kampagnen gewinnt? Was,<br />

wenn wir uns ganz gezielt mit irgendwelchem Privatkram<br />

der Anderen aus einer vermeintlichen Schlüssellochperspektive<br />

befassen sollen, die uns die Kameras der meisten<br />

Privatsender (und auch einiger öffentlich-rechtlicher)<br />

anbieten? Was, wenn es einfach nur darum geht, die<br />

Menschen beschäftigt zu halten – zum Beispiel, damit<br />

sie keine Zeit mehr finden, kritisch nachzudenken? Was,<br />

wenn die Krise selbst ein ausgeklügeltes Geschäftsmodell<br />

des Neoliberalismus ist, entstanden in einer Zeit, in der<br />

es in der westlichen Welt nicht mehr so einfach gelingt,<br />

Knappheit zu erzeugen? Mir fallen Viele ein, die an all<br />

dem Interesse haben könnten.<br />

Dann wäre frei nach Neil Postman zu formulieren:<br />

Problematisch an den Medien ist nicht, dass sie uns unterhaltsame<br />

Themen präsentieren, problematisch ist, dass<br />

uns jede Unterhaltung ohne kritische Alternativen präsentieren.<br />

(Postman [1985] 1996, S. 110).<br />

These 2: Die Politik steckt in einer Krise, aus der sie<br />

sich schleunigst befreien sollte. Genauer: Die Politik<br />

steckt in einer Krise, aus der sie die Medien schleunigst<br />

befreien sollten.<br />

Die Rolle der Politik hat sich drastisch verändert. Viele<br />

Autoren haben anschaulich gezeigt, dass ihre Gestaltungskraft<br />

deutlich hinter die Dominanz des Ökonomischen<br />

Modells zurückgetreten ist bzw. -gedrängt wurde.<br />

Ihre Macht wird angezweifelt. Etwa, wenn Robert<br />

Reich fragt: »Warum ist der Kapitalismus so stark<br />

und die Demokratie so schwach?« und wissen will, ob<br />

ein »Zusammenhang zwischen diesen Entwicklungen«<br />

besteht. (Reich 2008, Klappentext) Oder auch, wenn<br />

Peter Heintel die Dominanz des Ökonomisch-Technischen<br />

unter dem Titel »Modell Neuzeit« zusammenfasst.<br />

(Heintel 2004). Das hat ihn dazu geführt, von<br />

dominanten Wertfiguren zu sprechen, die unsere gegenwärtige<br />

Kultur prägen und gestalten. Und wenn es<br />

um Werte geht, sind wir unmittelbar im Themenfeld<br />

der Ethik angekommen. Man muss aber nicht nur<br />

Geisteswissenschaftler Innen fragen, inzwischen werden<br />

auch jene Ökonomen gehört, die seit Jahren vor der Wirtschaftskrise<br />

gewarnt haben – Stephan Schulmeister,<br />

Ökonom am Wirtschaftsforschungsinstitut in Wien<br />

etwa. Er fasst die Lage so zusammen: »Mit dem Ausbruch<br />

der Finanzkrise hat der Übergang von einer finanz-<br />

zu einer realkapitalis tischen Wirtschaftsordnung<br />

begonnen. Dieser wird lange dauern, da der in den vergangenen<br />

30 Jahren zunehmend dominante ›Finanzkapitalismus‹<br />

eine umfassende ›Spielanordnung‹ darstellt, deren<br />

Komponenten einander wechselseitig stützen. Dazu<br />

gehören insbesondere die neoliberale Wirtschaftstheorie,<br />

der Vorrang für den Geldwert, die Liberalisierung der Finanzmärkte,<br />

die Regulierung der Wirtschaftspolitik, die<br />

Teilprivatisierung des Pensionssystems und generell die<br />

Schwächung des Sozialstaats. Politik im Zeitalter des Finanzkapitals<br />

orientierte sich nicht nur an Losungen wie<br />

›Mehr privat, weniger Staat‹, sondern insbesondere an<br />

der großen Illusion ›Lassen Sie Ihr Geld arbeiten‹. Diese<br />

›selbstzerstörende‹ Maxime hat durch verschiedene Prozesse<br />

jenes ›Potential‹ aufgestaut, das sich in der neuen<br />

Weltwirtschaftskrise entlädt.« (Schulmeister 2009,<br />

S. 1). Der Wirtschaftswissenschaftler geht im übrigen<br />

nicht davon aus, dass die ökonomische Elite, die sich in<br />

den vergangenen Jahren herausgebildet hat und die, nicht<br />

selten mit hochrangigen Auszeichnungen gekürt, auch<br />

jene ist, die von Medien regelmäßig und primär befragt<br />

wird, sich zukünftig (ökonomisch-ideologisch) anders<br />

orientieren werden. (Schulmeister 2009, S. 12 bzw. 23).<br />

Und die Wirtschaftsnachrichten verkünden es ja ebenfalls<br />

bereits: »Nach der Krise ist vor der Krise« ist zu einer<br />

ihrer Lieblingsschlagzeilen avanciert (vgl. u. a. Handelsblatt,<br />

17. 6. 2009; manager magazin, 5. 9. 2007; der standard<br />

online, 14. 1. 2009; WirtschaftsWoche online, 26. 3. <strong>2010</strong>). Das<br />

muntere Spekulieren geht weiter, schließlich kann man ja<br />

auch auf die Verluste der Anderen wetten.<br />

Konsequenzen II<br />

Wenn man allerdings dem Gedanken folgt, dass das neoliberale<br />

Modell, oder auch die ökonomisch-technische<br />

Wertfigur, alle anderen Systeme dominiert, wenn damit<br />

zugleich die Grundthese der durchgängigen Ökonomisierung<br />

bei gleichzeitigem Machtverlust der Demokratie<br />

akzeptiert wird, so ist unmittelbar zu fragen, welche Rolle<br />

Medien im Zeitalter der ökonomisch-technischen Kultur<br />

zukommt.<br />

Die traditionelle Auffassung, der zufolge Medien primär<br />

als Kontrollinstanz der Politik zu fungieren haben,<br />

scheint mir dafür obsolet oder zumindest hinterfragenswert<br />

zu sein. Sie erscheint mir nur so lange als berechtigt,<br />

solange Regierungen als primäre Gestaltungsmacht zu<br />

begreifen sind. Wenn das aber nicht mehr der Fall ist,

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