Komplette Ausgabe 2010 - synpannier
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Inhalt Editorial Schwerpunkt Perspektiven Tagungen Rezensionen Impressum<br />
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beziehen oder ihre Mütter austauschen wollen, gepaart<br />
mit diversen Ratgebersendungen à la Supernanny. Zum<br />
einen lässt sich dieser neue Trend natürlich wiederum<br />
ökonomisch begründen, die Produktion solcher Serien ist<br />
vergleichsweise kostengünstig und schnell zu drehen. Mir<br />
reicht diese Begründung aber nicht aus. Wieso frage ich<br />
mich immer und immer wieder, ist plötzlich das Private<br />
und Intime so begehrt? Vor nicht zu langer Zeit waren<br />
viele von uns im Rahmen der Frauenbewegung noch dafür<br />
eingetreten, dass das Private politisch zu verstehen sei.<br />
So war es aus meiner Sicht nicht gemeint.<br />
Was, wenn wir alle einem riesigen Ablenkungsmanöver<br />
aufsitzen? Wenn es gar nicht nur um das geht, was billiger<br />
zu produzieren ist, wenn es auch gar nicht wirklich darum<br />
geht, wer im Wettlauf der PR-Kampagnen gewinnt? Was,<br />
wenn wir uns ganz gezielt mit irgendwelchem Privatkram<br />
der Anderen aus einer vermeintlichen Schlüssellochperspektive<br />
befassen sollen, die uns die Kameras der meisten<br />
Privatsender (und auch einiger öffentlich-rechtlicher)<br />
anbieten? Was, wenn es einfach nur darum geht, die<br />
Menschen beschäftigt zu halten – zum Beispiel, damit<br />
sie keine Zeit mehr finden, kritisch nachzudenken? Was,<br />
wenn die Krise selbst ein ausgeklügeltes Geschäftsmodell<br />
des Neoliberalismus ist, entstanden in einer Zeit, in der<br />
es in der westlichen Welt nicht mehr so einfach gelingt,<br />
Knappheit zu erzeugen? Mir fallen Viele ein, die an all<br />
dem Interesse haben könnten.<br />
Dann wäre frei nach Neil Postman zu formulieren:<br />
Problematisch an den Medien ist nicht, dass sie uns unterhaltsame<br />
Themen präsentieren, problematisch ist, dass<br />
uns jede Unterhaltung ohne kritische Alternativen präsentieren.<br />
(Postman [1985] 1996, S. 110).<br />
These 2: Die Politik steckt in einer Krise, aus der sie<br />
sich schleunigst befreien sollte. Genauer: Die Politik<br />
steckt in einer Krise, aus der sie die Medien schleunigst<br />
befreien sollten.<br />
Die Rolle der Politik hat sich drastisch verändert. Viele<br />
Autoren haben anschaulich gezeigt, dass ihre Gestaltungskraft<br />
deutlich hinter die Dominanz des Ökonomischen<br />
Modells zurückgetreten ist bzw. -gedrängt wurde.<br />
Ihre Macht wird angezweifelt. Etwa, wenn Robert<br />
Reich fragt: »Warum ist der Kapitalismus so stark<br />
und die Demokratie so schwach?« und wissen will, ob<br />
ein »Zusammenhang zwischen diesen Entwicklungen«<br />
besteht. (Reich 2008, Klappentext) Oder auch, wenn<br />
Peter Heintel die Dominanz des Ökonomisch-Technischen<br />
unter dem Titel »Modell Neuzeit« zusammenfasst.<br />
(Heintel 2004). Das hat ihn dazu geführt, von<br />
dominanten Wertfiguren zu sprechen, die unsere gegenwärtige<br />
Kultur prägen und gestalten. Und wenn es<br />
um Werte geht, sind wir unmittelbar im Themenfeld<br />
der Ethik angekommen. Man muss aber nicht nur<br />
Geisteswissenschaftler Innen fragen, inzwischen werden<br />
auch jene Ökonomen gehört, die seit Jahren vor der Wirtschaftskrise<br />
gewarnt haben – Stephan Schulmeister,<br />
Ökonom am Wirtschaftsforschungsinstitut in Wien<br />
etwa. Er fasst die Lage so zusammen: »Mit dem Ausbruch<br />
der Finanzkrise hat der Übergang von einer finanz-<br />
zu einer realkapitalis tischen Wirtschaftsordnung<br />
begonnen. Dieser wird lange dauern, da der in den vergangenen<br />
30 Jahren zunehmend dominante ›Finanzkapitalismus‹<br />
eine umfassende ›Spielanordnung‹ darstellt, deren<br />
Komponenten einander wechselseitig stützen. Dazu<br />
gehören insbesondere die neoliberale Wirtschaftstheorie,<br />
der Vorrang für den Geldwert, die Liberalisierung der Finanzmärkte,<br />
die Regulierung der Wirtschaftspolitik, die<br />
Teilprivatisierung des Pensionssystems und generell die<br />
Schwächung des Sozialstaats. Politik im Zeitalter des Finanzkapitals<br />
orientierte sich nicht nur an Losungen wie<br />
›Mehr privat, weniger Staat‹, sondern insbesondere an<br />
der großen Illusion ›Lassen Sie Ihr Geld arbeiten‹. Diese<br />
›selbstzerstörende‹ Maxime hat durch verschiedene Prozesse<br />
jenes ›Potential‹ aufgestaut, das sich in der neuen<br />
Weltwirtschaftskrise entlädt.« (Schulmeister 2009,<br />
S. 1). Der Wirtschaftswissenschaftler geht im übrigen<br />
nicht davon aus, dass die ökonomische Elite, die sich in<br />
den vergangenen Jahren herausgebildet hat und die, nicht<br />
selten mit hochrangigen Auszeichnungen gekürt, auch<br />
jene ist, die von Medien regelmäßig und primär befragt<br />
wird, sich zukünftig (ökonomisch-ideologisch) anders<br />
orientieren werden. (Schulmeister 2009, S. 12 bzw. 23).<br />
Und die Wirtschaftsnachrichten verkünden es ja ebenfalls<br />
bereits: »Nach der Krise ist vor der Krise« ist zu einer<br />
ihrer Lieblingsschlagzeilen avanciert (vgl. u. a. Handelsblatt,<br />
17. 6. 2009; manager magazin, 5. 9. 2007; der standard<br />
online, 14. 1. 2009; WirtschaftsWoche online, 26. 3. <strong>2010</strong>). Das<br />
muntere Spekulieren geht weiter, schließlich kann man ja<br />
auch auf die Verluste der Anderen wetten.<br />
Konsequenzen II<br />
Wenn man allerdings dem Gedanken folgt, dass das neoliberale<br />
Modell, oder auch die ökonomisch-technische<br />
Wertfigur, alle anderen Systeme dominiert, wenn damit<br />
zugleich die Grundthese der durchgängigen Ökonomisierung<br />
bei gleichzeitigem Machtverlust der Demokratie<br />
akzeptiert wird, so ist unmittelbar zu fragen, welche Rolle<br />
Medien im Zeitalter der ökonomisch-technischen Kultur<br />
zukommt.<br />
Die traditionelle Auffassung, der zufolge Medien primär<br />
als Kontrollinstanz der Politik zu fungieren haben,<br />
scheint mir dafür obsolet oder zumindest hinterfragenswert<br />
zu sein. Sie erscheint mir nur so lange als berechtigt,<br />
solange Regierungen als primäre Gestaltungsmacht zu<br />
begreifen sind. Wenn das aber nicht mehr der Fall ist,