Komplette Ausgabe 2010 - synpannier
Komplette Ausgabe 2010 - synpannier
Komplette Ausgabe 2010 - synpannier
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Inhalt Editorial Schwerpunkt Perspektiven Tagungen Rezensionen Impressum<br />
Natürlich zielen einige der Bücher zum Thema »Persuasion«<br />
nicht zuletzt auf verbesserte Marketing- und<br />
Werbemaßnahmen (bspw. Goldstein/Martin/<br />
Cialdini 2008), aber Autoren wie Thaler und<br />
Sunstein gehen einen Schritt weiter, weil sie u. a. in der<br />
mangelnden Effizienz hinsichtlich der Gestaltung von<br />
Kommunikationsprozessen eine Ursache dafür sehen, warum<br />
Menschen oftmals in einer Art und Weise handeln,<br />
die sie im Grunde selber ablehnen. Um Menschen dabei<br />
zu unterstützen, sich gesund zu ernähren, soll dementsprechend<br />
das Warenangebot in Cafeterien so angeordnet<br />
werden, dass die Besucherinnen und Besucher eher zu<br />
gesunden Nahrungsmitteln greifen (Thaler/Sunstein<br />
2008, S. 1 – 3). Und um Menschen am Diebstahl von Fossilien<br />
in einem Naturschutzgebiet zu hindern, sind die<br />
– empirisch getesteten – effektivsten Hinweisschilder zu<br />
verwenden (ebd., S. 72 – 73) usw.<br />
Ähnliche Überlegungen finden wir auch im Bereich der<br />
persuasiven Technologien, die ebenfalls dazu dienen sollen,<br />
einen gesunden Lebensstil zu entwickeln oder diesem<br />
treu zu bleiben – oder umweltbewusstes Handeln zu fördern.<br />
Computergestützte Technologien sind hierbei offensichtlich<br />
geeignete Hilfsmittel, weil sie zum einen die<br />
Erhebung und Verarbeitung von Daten in großem Umfang<br />
erleichtern und ermöglichen, und zum anderen selber<br />
›verführerisch‹ sind. Auf einer zweiten Ebene widmet<br />
sich die Diskussion um persuasive Technologien nämlich<br />
nicht nur der effektiven Vermittlung von bestimmten Inhalten,<br />
sondern auch der Frage, was bestimmte Technologien<br />
(wie beispielsweise soziale Netzwerke oder Computerspiele)<br />
so attraktiv für Nutzerinnen und Nutzer macht.<br />
Auch dies ist insofern eine neue Entwicklung, weil es<br />
bspw. den Betreibern von sozialen Netzwerken – um bei<br />
diesem Beispiel zu bleiben – eben nicht nur darum gehen<br />
kann, Wissen für potentielle Werbekunden über die Nutzerinnen<br />
und Nutzer zu generieren (Mediadaten) oder<br />
die Inhalte an einen bestimmten Nutzerkreis anzupassen,<br />
sondern die Technologie selber auf der Grundlage des<br />
statistischen Wissens über die Nutzerinnen und Nutzer,<br />
das mittels der Technologie gewonnen wird, so zu gestalten,<br />
dass die Nutzerinnen und Nutzer zu einer weiteren<br />
und ggfs. intensiveren Nutzung ›überredet‹ werden.<br />
Genau an diesem Punkt gewinnt m. E. n. die eingangs<br />
skizzierte medienethische Frage nach den Grenzen fairer<br />
Kommunikation nun an Bedeutung, denn es scheint<br />
unstrittig zu sein, dass nicht jedwedes Kommunikationsangebot<br />
dadurch zu rechtfertigen ist, dass es den Erwartungen<br />
des Publikums entspricht. Und mit Phänomenen<br />
wie »Propaganda« und »unterschwelliger Werbung« sind<br />
bereits weitere Extreme benannt, welcher sicherlich nur<br />
sehr eingeschränkt, wenn überhaupt zu rechtfertigen sind.<br />
Die Frage ist nur, wo genau die Grenze zu ziehen ist, an<br />
welche die möglichst effektive Gestaltung eines Kommu-<br />
52 | nikationsangebotes oder einer Technologie umschlägt<br />
in symbolische Gewalt (in dem oben genannten Sinne).<br />
– Dies muss aber vorerst eine offene Frage bleiben.<br />
Zusammenfassung<br />
Die genannten Beispiele und Tendenzen verdeutlichen<br />
m. E., dass es geboten ist, Überlegungen und Befunde zu<br />
Überwachungsprozessen, wie sie beispielsweise bei Lyon<br />
und anderen Vertreterinnen und Vertretern der surveillance<br />
studies zu finden sind, zum besseren Verständnis für<br />
die Art und Weise wie Medieninhalte im Allgemeinen<br />
und Werbung im Speziellen produziert und zugänglich<br />
gemacht werden. Mit Lyon ist dabei zu betonen, dass<br />
die Produktion von Medieninhalten Teil von Überwachungsprozessen<br />
sein kann, sofern die Medieninhalte<br />
in der Absicht produziert werden, das Verhalten von<br />
Menschen zu beeinflussen. Die Produktion von Medieninhalten<br />
als Bestandteil von Überwachungsprozessen zu<br />
begreifen, bedeutet auch die Art und Weise, wie Wissen<br />
über die zukünftigen Rezipienten produziert wird, stärker<br />
im Prozess der Evaluierung von Medienprodukten einfließen<br />
zu lassen. Dies gilt auch für auf den ersten Blick<br />
konventionelle Werbemaßnahmen.<br />
Hinter diesen Überlegungen steht der Verdacht, dass es<br />
Formen der Kommunikation gibt, die letztendlich einen<br />
Akt der symbolischen Gewalt darstellen, weil sie darauf<br />
abzielen, unmittelbar ein bestimmtes Verhalten oder eine<br />
bestimmte Einstellung bei den Rezipienten zu fördern<br />
oder auszulösen. Wie im letzten Abschnitt dargelegt, ist<br />
ein deutliches Interesse an derartigen Möglichkeiten<br />
feststellbar, High Tech-Varianten inklusive. Auch wenn es<br />
nicht die Aufgabe der Medienethik sein kann, über die<br />
faktische Wirkung der in der Literatur beschriebenen<br />
Verfahren und Technologien zu entscheiden, so scheint<br />
hinsichtlich dieser Tendenzen doch Reflektionsbedarf zu<br />
bestehen.<br />
Die Medienethik könnte dabei einen wesentlichen Beitrag<br />
zur normativen Beurteilung von persuasiven Technologien<br />
leisten, wenn sie Maßstäbe für die Grenzen fairer<br />
Kommunikation anbieten könnte, welche es ermöglichen,<br />
Formen der symbolischen Gewalt gerade auch im Zusammenhang<br />
von Überwachungsprozessen zu identifizieren.<br />
Dies wäre auch für die moralische Beurteilung von<br />
Überwachungsprozessen hilfreich, weil dies eine neue<br />
Ebene der Kritik an derartigen Prozessen eröffnen würde,<br />
bei denen vor allem durch die Produktion von Zeichen<br />
Menschen gelenkt und geführt werden sollen.<br />
Schließlich wäre auch zu fragen, ob es Art und Weisen<br />
der Gestaltung von Informations- und Kommunikationstechnologien<br />
gibt, welche deren Nutzung für Benutzerinnen<br />
und Benutzer im besonderen Maße attraktiv<br />
macht – und ob es auch hier Grenzen für eine derartige<br />
Beeinflussung der Nutzerinnen und Nutzer durch