Komplette Ausgabe 2010 - synpannier
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Inhalt Editorial Schwerpunkt Perspektiven Tagungen Rezensionen Impressum<br />
22 |<br />
»Aufmerksamkeit« als Währung auf dem Markt der<br />
Produsage<br />
Darüber hinaus lassen sich auch Risiken für die Nutzer<br />
benennen: Relevanz und Wahrheit einer Nachricht sind<br />
für die Rezipienten nicht mehr erkennbar. Partizipatorische<br />
Netze neigen darüber hinaus zu einem gewissen<br />
Dilettantismus und einer unüberlegten »cut and paste«<br />
Moral. Viel gewichtiger aber scheint der Umstand, dass<br />
Nutzer keinerlei Kontrolle über die Wahrhaftigkeit (vgl.<br />
Rath 2006) des jeweiligen Produtzers haben. Ihnen sind<br />
die partikularen Interessen, die ökonomischen und ideologischen<br />
Abhängigkeiten der Hintermänner, Auftraggeber<br />
und konkreten Produzenten nicht transparent.<br />
Nichtprofessionelle<br />
Nutzer<br />
»Hintermänner«<br />
Produtzung<br />
Partizipatives Netz<br />
Information<br />
Information<br />
Tranzparenz<br />
Journalisten<br />
als Produtzer<br />
In das partizipative Netz speisen viele, auch Journalisten<br />
natürlich, Informationen ein. Zwar können Journalisten<br />
durch professionelle Recherche Transparenz prinzipiell<br />
schaffen, aber geht diese Information nicht im Hintergrundrauschen<br />
der Netzaktivitäten unter? Hier zeigt sich<br />
ein wichtiger Unterschied zur Vor-Web 2.0-Öffentlichkeit:<br />
In »partizipativen Netzen« ist nicht Zugänglichkeit<br />
das Problem, sondern »Aufmerksamkeit« (vgl. Franck<br />
1998) ist die Währung, in der sich auf dem Markt der<br />
Produsage Erfolg auszahlt. Jeder Produtzer versucht, die<br />
Aufmerksamkeit der anderen Nutzer und Produtzer zu<br />
erhalten – und zwar aus ganz unterschiedlichen, nicht<br />
notwendigerweise ökonomischen Gründen. Wir können<br />
daher – trotz der hohen Nutzungsraten – von einer blinden<br />
Aufmerksamkeit im Netz sprechen. Letztlich entscheidet<br />
der Zufall.<br />
Dies kann auch nicht verwundern, denn wenn, wie<br />
Niklas Luhmann (1974, 42) festgestellt hat, Öffentlichkeit<br />
zur »Neutralisierung von Rollenanforderungen«<br />
führt, dann überfordert eine unorganisierte Öffentlichkeit<br />
die Aufmerksamkeit der Nutzer. Alle Angebote sind<br />
prinzipiell gleichberechtigt, ja ganz im Gegenteil: Professionalität<br />
steht mit Authentizität in Konkurrenz.<br />
Hier besteht eine neue Aufgabe des professionellen<br />
Journalismus, im »öffentlichen System« durch Information<br />
über verdeckte Interessen und Abhängigkeiten neue<br />
»attention rules« (ebd., 35) zu formulieren und die »Unterstellbarkeit<br />
der Akzeptiertheit« (ebd., 44) von Themen<br />
und opinion leaders zu steuern.<br />
Nichtprofessionelle<br />
Nutzer<br />
»Hintermänner«<br />
Partizipatives Netz<br />
Information<br />
Eine auf die Aufmerksamkeit des Nutzers selbst zielende<br />
Information des professionellen Journalismus<br />
scheint mir die einzige Chance, die blinde in eine informierte<br />
Aufmerksamkeit zu überführen und Nutzer damit<br />
auch für die Hintergründe von Web 2.0 Angeboten zu<br />
sensibilisieren.<br />
Die klassische Aufgabe des Journalismus, Öffentlichkeit<br />
herzustellen, wird ergänzt und vertieft mit der Aufgabe,<br />
die mediale Web-Öffentlichkeit einer kritischen Sichtung<br />
zu unterziehen. Beispiel solcher kritischen Beobachtung<br />
sind z. B. medien-monitor.de, medienrauschen.<br />
de, bildblog.de, geloggd, public-value.at, das Social Web<br />
sowie die Blogger-Szene.<br />
Ethik der öffentlichen Kommunikation 2.0<br />
Produtzung<br />
Aufmerksamkeit<br />
Tranzparenz<br />
Journalisten<br />
als Produtzer<br />
Wenden wir uns noch einmal dem systematischen Ort<br />
einer Ethik der öffentlichen Kommunikation zu. Unter den<br />
Bedingungen des Web 2.0 besteht keine Ethik der privaten<br />
Kommunikation mehr, da Kommunikation, wo sie<br />
über face-to-face-Kontakte hinaus geht, prinzipiell immer<br />
öffentlich ist. Die Trennung setzt vielmehr später ein,<br />
unterhalb einer Ethik der öffentlichen Kommunikation und<br />
unterhalb einer ebenfalls breiter zu fassenden Medienethik.<br />
Das Feld der kommunikationsethischen Reflexion<br />
hat sich erweitert – wie auch das Aufgabengebiet des<br />
Journalismus. Eine ebenfalls deduzierbare Ethik der nichtprofessionellen<br />
Produsage kann hier nur erwähnt werden.