Komplette Ausgabe 2010 - synpannier
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Christian Schicha _ Inhaltsleere Medienrituale?<br />
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Christian Schicha<br />
Inhaltsleere Medienrituale?<br />
Kritische Anmerkungen zu standardisierten Formen<br />
der Fernsehberichterstattung am Beispiel von Nachrichten<br />
und politischen Talkshows<br />
Einleitung<br />
Warum wurde in der Tagesschau darüber berichtet, dass der Sänger einer Casting-Show<br />
mit seinem Auto einen Gurkenlaster rammte? Muss es in der ARD um 20.15 Uhr einen<br />
Brennpunkt zum »Schneechaos« geben? Ist es angemessen, dass die Heirat zwischen<br />
Camilla Parker Bowles und Prinz Charles zum Thema des Tages in den Tagesthemen<br />
avanciert? (vgl. Bertram 2006) Offenkundig richtet sich der Fokus von Nachrichtensendungen<br />
auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nicht mehr nur auf politische<br />
Zusammenhänge, sondern auch auf Boulevardthemen, obwohl der Grundversorgungsauftrag<br />
neben der Unterhaltung vor allem politische Information und Bildung vorsieht.<br />
Politische Kommunikation als integraler Bestandteil des politischen Prozesses gehört<br />
schließlich zu den Kernaufgaben der Demokratie. Sie soll dazu beitragen, politische Prozesse<br />
zu vermitteln, um den Menschen den Zugang zu politischen Meinungs- und Willensbildungsprozessen<br />
zu ermöglichen. Dabei sind mehrere Aufgaben zu erfüllen, die<br />
auch im Rahmen der Medienberichterstattung zu leisten sind (vgl. Dörner 2001):<br />
Politische Kommunikation soll Politik sichtbar und erfahrbar machen, insbesondere<br />
für die Bevölkerungsschichten, die über keine unmittelbaren Erfahrungen und Vorkenntnisse<br />
über komplexe politische Prozesse oder das politische System besitzen.<br />
Politische Kommunikation soll Orientierungs-, Vorstellungs- und Deutungsmuster<br />
vermitteln.<br />
Politische Kommunikation soll erforderliche Werte- und Konsensformen anbieten.<br />
Politische Kommunikation soll Identifikation und einen emotionalen Zugang zum<br />
politischen System ermöglichen.<br />
Politische Kommunikation soll die Öffentlichkeit mit Herausforderungen, Themen<br />
und alternativen Gestaltungsmöglichkeiten konfrontieren.<br />
In der medialen Praxis werden diese Ansprüche jedoch nicht konsequent umgesetzt. Dies<br />
zeigt die weit verbreitete Kritik an der aktuellen Politikvermittlung vor allem innerhalb<br />
der Fernsehberichterstattung. Es werde, so der Vorwurf, ein inszeniertes Bild der Politik<br />
vermittelt, aus dem sich eine Entleerung der Berichterstattung von politischen Inhalten<br />
ergebe. Nicht die rationale Abwägung sachlicher Handlungsalternativen stehe im<br />
Blickpunkt, sondern die Sympathie- und Kompetenzzuschreibungen politischer Akteure<br />
würden primär durch mediale Inszenierungen suggeriert. Politische Institutionen und<br />
Verfahren würden im Rahmen der Berichterstattung weniger thematisiert. Faktisch entspreche<br />
die Politikvermittlung in den Medien nicht der faktischen Komplexität politischer<br />
Willensbildungsprozesse. Die Politikvermittlung reduziere sich in vielen Fällen<br />
auf Aspekte der Visualisierung und Ritualisierung. Das Zeigbare in Form von bildfixierten<br />
Rückschlüssen werde präsentiert, während Hintergründe und Zusammenhänge