Ihr kennt eure Bibel nicht! - von Katharina Mommsen
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folgen. Viel richtiger scheint mir der Hinweis Wilhelm Böhms zu<br />
sein, <strong>von</strong> dem wir schon sprachen: dass der Anstoß, den Herkules<br />
Mythos in einem Hymnus zu behandeln, <strong>von</strong> Schillers DAS RE/CH<br />
DER SCHArrEN ausging. Wir konnten noch andere ähnliche Anregungen<br />
durch Schillersche Gedichte zusätzlich aufweisen, und stets<br />
handelte es sich dabei um Gedichte, deren Veröffentlichung nur<br />
kurze Zeit der Abfassung des HERKuLEs-Gedichts vorauslag. Hölderlin<br />
hatte sie folglich soeben gelesen.<br />
Allerdings dürfte der Verlauf dann so gewesen sein: aufmerksam<br />
geworden auf den Herkules-Mythos durch Schiller, faßte Hölderlin<br />
den Entschluß, eben diesen Mythos zur Grundlage zu<br />
nehmen für ein Gedicht, das seine Situation gegenüber Schiller<br />
zur Darstellung brachte. Dabei lag es freilich nahe, sich über<br />
diesen Mythos noch weiter zu informieren und antike Bearbeitungen<br />
desselben zu betrachten. Hölderlin war ein guter Kenner<br />
des Ovid, und er liebte ihn, wie das die meisten großen Dichter<br />
tun. (Das Abwerten Ovids ist mehr Sache der Theoretiker gewesen,<br />
nach dem Beispiel Herders.) Aus Ovids HEROIDEN hatte Hölderlin<br />
schon in seiner Maulbronner Zeit eine Partie bearbeitet in<br />
dem melodramatischen Gedicht HERO. So mag er sich auch des<br />
Briefgedichts DE/AN/RA AN HERKULES in Ovids HEROIDEN erinnert<br />
haben, wo gerade das ihn so sehr beschäftigende Thema des<br />
Größenunterschiedes dichterisch behandelt worden war. Er übersetzte<br />
die betreffende Stelle aus dem Ovid-Gedicht und schrieb<br />
dann weiter - inspiriert auch durch die Übersetzung und immer<br />
im Hinblick auf Schiller - die HERKuLEs-Hymne nieder, die sich ja<br />
in der Handschrift unmittelbar in Nähe der HEROIDEN-Übersetzung<br />
findet.<br />
Wenn wir annehmen möchten, dass die ganze Beschäftigung<br />
mit dem Thema Herkules damals durch Schiller angeregt wurde,<br />
und dass diese Beschäftigung schließlich insgesamt dem Gedicht<br />
AN HERKULES zugute kam und der Darstellung des Verhältnisses zu<br />
Schiller, so wird diese Annahme durch ein weiteres Indiz bestätigt.<br />
Es läßt sich nämlich erkennen, dass Hölderlin zumindest noch<br />
ein anderes Werk aus der antiken Literatur, das den Herkules<br />
Mythos behandelt, studiert hat, und zwar eine griechische Tragö-<br />
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die. An zwei Stellen des Hymnus AN HERKULES finden sich Anklänge<br />
an diese Tragödie. Beide Stellen sind enthalten in der 4. Strophe<br />
des Hölderlinschen Gedichts. Hier heißt es, mit Bezug auf<br />
Herkules:<br />
Wenn für deines Schiksaals W oogen<br />
Hohe Götterkräfte dich,<br />
Kühner Schwimmer! auferzogen,<br />
Was erzog dem Siege mich?<br />
Was berief den Va terlosen,<br />
Der in dunkler Halle saß,<br />
Zu dem Göttlichen und Großen,<br />
Daß er kühn an dir sich maß?<br />
Auffällig sind in dieser Strophe zwei Bilder. Erstens ist es merkwürdig,<br />
dass Herkules hier als »Schwimmer« im Kampf mit den<br />
Wogen, mit des »Schicksaals Woogen«, gesehen wird. Das Bild<br />
würde ohne weiteres passen etwa zu Odysseus. Wo gäbe es aber in<br />
den Herkules-Mythen eine entsprechende Situation? Zweitens ist<br />
auffällig das Bild <strong>von</strong> dem »Vaterlosen«. Auf sich selbst bezieht<br />
Hölderlin das Bild. Und so dient es, den Gegensatz auszudrücken:<br />
Herkules ist <strong>von</strong> göttlicher Geburt, er ist Sohn Kronions, der Dichter<br />
dagegen sieht sich selbst - wie es wörtlich an anderer Stelle<br />
heißt - als sterblich geboren an. So weit ist alles verständlich. Dennoch<br />
bleibt es merkwürdig, dass der Dichter sich in diesem Sinnzusammenhang<br />
geradezu als »Vaterlosen« bezeichnet, und zwar<br />
als Vaterlosen in »dunkler Halle«. Derartig prägnante, spezifische,<br />
zunächst auch befremdende Wendungen legen die Vermutung<br />
nahe, dass hier Anspielungen, Zitate vorliegen. Und so ist es auch.<br />
Die beiden Bilder finden sich nämlich in derjenigen Tragödie des<br />
ophokles, die ebenfalls den Herkules-Mythos behandelt, und zwar<br />
n Tod des Herkules: in des Sophokles TRACHINIERINNEN. Gleich<br />
im ersten Chorlied, das den Herkules feiert, wird hier in aller Breit<br />
ausgeführt, wie der Heros sich durch sein mühevolles Leben<br />
hindurchgearbeitet habe, nämlich so wie durch die wild aufgeregt<br />
'11 Wogen des Meeres.<br />
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