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Ihr kennt eure Bibel nicht! - von Katharina Mommsen

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»Und das gleiche nur ist's, was an das Gleiche sich reyht.« So charakterisiert<br />

Schiller die Welt des zivilisierten Lebens im Tal, in der<br />

Ebene, im Gegensatz zur Welt der Berge, der freien Natur. Auf das<br />

Nämliche deutet bei Schiller das Bild: »der Pappeln stolze Geschlechter<br />

I Ziehn in geordnetem Pomp vornehm und prächtig<br />

daher«. Oder: »Näher gerückt ist der Mensch an den Menschen.<br />

Enger wird um ihn ... die Welt.« Mit diesen letzten Worten<br />

stimmt auffällig überein ein Vers Hölderlins, der sich im Entwurf<br />

zu der nachgetragenen Schluß partie der EICHBÄUME findet: »E n ger<br />

vereint ist unten im ThaI das gesellige Leben.«17 So bestätigt es sich,<br />

wie sehr Wilhelm Böhm im Recht war, als er auf einen Zusammenhang<br />

der EICHBÄUME mit der ELEGIE hinwies. Übrigens wird in Schillers<br />

Gedicht der Übergang <strong>von</strong> der Welt des Tals zu der der freien<br />

Berge gekennzeichnet durch die Worte: »Hinter mir blieb der Gärten<br />

.. . vertraute Begleitung«. An diese Wendung scheint das Einleitungsbild<br />

<strong>von</strong> den Gärten in Hölderlins DIE EICHBÄUME unmittelbar<br />

anzuknüpfen.<br />

Das Gedicht DIE EICHBÄUME ist nun aber noch in anderer Weise<br />

bemerkenswert. In ihm nämlich vollzieht sich eine hochbedeutsame<br />

Wende in Hölderlins gesamtem lyrischem Schaffen, eine der<br />

wichtigsten überhaupt. Wie schon erwähnt, bediente sich Hölderlin,<br />

als er 1796 die Hauptpartie des Gedichts niederschrieb, erstmals<br />

nach längerer Pause wieder des Hexameters. Jetzt aber bedeutet<br />

der Gebrauch dieses Versmaßes, dass der Dichter endlich<br />

beginnt, sich loszulösen <strong>von</strong> der problematischen Form der Reimhymne,<br />

der Form, in der es ihm nie gelang, seine dichterische Eigenart<br />

voll zur Geltung zu bringen, die ihm infolgedessen niemals<br />

Glück gebracht hat. Von jetzt ab geht Hölderlin generell dazu über,<br />

wieder die antiken, reimlosen Versmaße zu benutzen, zunächst<br />

weiter Hexameter und Distichen, späterhin dann auch die komplizierteren<br />

Versmaße der griechisch-römischen Dichtung. Von diesem<br />

Augenblick aber datiert der Beginn derjenigen lyrischen Dichtung,<br />

die wir eigentlich meinen, wenn wir <strong>von</strong> Hölderlin sprechen.<br />

17 StA I 501.<br />

84<br />

Von diesem Augenblick an weisen Hölderlins Gedichte wirklich<br />

und unverkennbar seine Eigenart auf. Von diesem Augenblick ist<br />

zu sagen, dass nach der Wende, die sich in ihm vollzieht, Hölderlin<br />

überhaupt keinen schwachen Vers mehr geschaffen hat. In DIE<br />

EICHBÄUME hören wir somit - und hörte auch Hölderlin selbst zweifellos<br />

- zum erstenmal seinen eigenen, so nur ihm möglichen Ton<br />

als Lyriker. In den Reimhymnen konnte noch immer, auch in den<br />

späteren, reiferen, sein Ton mit dem anderer Dichter verglichen<br />

werden. Der eigentlich Hölderlinsche Sprachklang, Sprachgriff<br />

wird unvergleichbar, unverwechselbar bemerklich nach jener gekennzeichneten<br />

Wende.<br />

Zieht man dies in Betracht, so darf es als ein besonderes merkwürdiges<br />

Zusammentreffen gelten, dass es gerade das Gedicht DIE<br />

EICHBÄUME WAR , in welchem Hölderlin auch <strong>von</strong> dem ersten Erwachen<br />

seiner Selbständigkeit Kunde gibt, <strong>von</strong> der Er<strong>kennt</strong>nis der<br />

Notwendigkeit, alleinzustehen, auch ohne Schiller "zu werden, was<br />

er werden soll". Wie man annimmt, war Hölderlin ja gerade durch<br />

zwei Gedichte Schillers - DIE KÜNSTLER und DIE GÖTTER GRIECHEN­<br />

LANDS - zu der Form der Reimhymne verführt worden. Als die innere<br />

Lösung sich vollzog, ging diese also zusammen mit einer Befreiung<br />

<strong>von</strong> der Form seines bisherigen Vorbilds - auch darin liegt<br />

etwas seltsam Symbolisches. Aus all diesen Gründen ist das Gedicht<br />

DIE EICHBÄUME so wichtig. In seiner wahren und umfänglichen<br />

Bedeutung ist es bisher <strong>von</strong> der Forschung noch zu wenig<br />

gewürdigt worden.<br />

Was die Einwirkung <strong>von</strong> Schillers DER PHILOSOPHISCHE EGOIST auf<br />

Hölderlin betrifft, so ist noch etwas anderes bemerkenswert. Anderthalb<br />

Monate nach der Veröffentlichung dieses Gedichts erscheint<br />

in einem Brief Hölderlins merkwürdigerweise einmal das<br />

Wort 'Egoist' - das sonst <strong>nicht</strong> zu des Dichters Sprachschatz gehört.<br />

Und zwar ist es gebraucht in einem Sinne, der wieder an Schillers<br />

Gedicht denken läßt, diesmal an seinen Titel. Hölderlin schreibt<br />

an Hegel (25. November 1795): "Wenn ich <strong>nicht</strong> bald eine gelegene<br />

HofmeistersteIle finde, so mache ich wieder den Egoisten, suche<br />

für jezt keine öffentliche Beschäftigung, und lege mich aufs Hung<br />

rleiden." Dass Hölderlin <strong>von</strong> sich selbst sagt, er mache den Egoi-<br />

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